Karin Baur werkt überall - auch in den Bergen.

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Ihre geistige Heimat ist die reine Mathematik - und die Clustertheorie eines ihrer bevorzugten Forschungsthemen. Eine ziemlich abstrakte Angelegenheit, wie Karin Baur bekennt. Aber es gibt eine Möglichkeit, diese komplexen mathematischen Aussagen aus ihrer abstrakten Sprache in eine konkretere zu übersetzen: durch Triangulationen von Flächen, also die Darstellung einer Fläche als Netz von Dreiecken.

"Die abstrakte Sprache der Mathematik kann man relativ elementar in solchen Dreiecken ausdrücken", erläutert die 44-jährige Schweizerin, die nach ihrer Lehrtätigkeit an der ETH Zürich seit zwei Jahren eine Professur am Institut für Mathematik und wissenschaftliches Rechnen an der Universität Graz innehat. Natürlich kann dieser "Übersetzungsprozess" ganz schön komplex werden, wenn man die Triangulationen nicht an "simplen" Vielecken, sondern an etwas ungewöhnlicheren Flächen vornimmt. "Für mich wird es dann erst richtig interessant", schwärmt die Mathematikerin, die in Zürich auch Philosophie und Französisch studiert hat.

Ihre Überlegungen zur geometrischen Konstruktion von Clusterkategorien hat Baur in ihrer Grazer Antrittsvorlesung dargelegt - und damit nicht nur Mathematiker zum Grübeln gebracht, sondern auch eine Musikerin inspiriert. "Sie wollte mehr über die Dynamik hinter diesen geometrischen Formen wissen, um daraus Musik zu komponieren", berichtet Baur. Aus dieser Anfrage erwuchs schließlich ein unkonventionelles Forschungsprojekt, in dem sie und ihr Kollege Klemens Fellner versuchen, Clustertheorie und Modelle der angewandten Mathematik in einem innermathematischen Dialog für die Musik fruchtbar zu machen.

"Man hat es hier zum einen mit abstrakt beschriebener, zum anderen mit 'gemalter' Mathematik zu tun", erläutert Baur. "Dabei können wir durch kleine Manipulationen komplexe dynamische Prozesse auslösen, die für die Kunst durchaus spannende Impulse liefern." Als ehemals leidenschaftliche Pianistin ist ihr die Sprache der Musik vertraut, auch wenn sie als vierfache Mutter mittlerweile kaum noch zum Klavierspielen kommt.

Wie lässt sich die große Familie überhaupt mit der Forschung unter einen Hut bringen? "Mein Mann ist erfreulicherweise zeitlich flexibel und unterstützt mich sehr", sagt die Mathematikerin. Ein großes Glück sei zudem, dass man an der Mathematik praktisch überall werken könne - selbst in einer Jugendherberge in den Schweizer Alpen, wo die beiden älteren Kinder gerade ein Kammermusikcamp besuchen. "Hier skizziere ich Dreiecke nach mathematischen Regeln."

Vielleicht inspirieren gerade diese Dreiecksflächen dereinst noch Künstler zu neuen Werken. Es wären jedenfalls nicht die Ersten, die mit der Mathematik eine kreative Symbiose eingehen. Schon Musiker wie Bach, Mahler, Schönberg, Iannis Xenakis und viele andere haben sich beim Komponieren mathematischer Strukturen bedient. Und nicht zu vergessen all die Maler und Architekten von Albrecht Dürer bis Zaha Hadid, deren Werke auf Mathematik aufbauen und sie zugleich kunstvoll überschreiten.

Auf der anderen Seite profitiert aber auch die Mathematik von ihrer Verbindung mit der Kunst: "Wenn meine komplexen Figuren in Musik übersetzt werden, kann ich vielleicht im Rückschluss neue Erkenntnisse für meine Theorie gewinnen", hofft Karin Baur. (Doris Griesser, DER STANDARD, 13.8.2014)