Zu wenige wissen: "Wenn sich mein Gehalt zweimal hintereinander halbiert, ist es nicht bei null", sagt Walter Krämer.

Foto: Michael Dannenmann

Auch wenn es anstrengend sein kann: Durchs Leben kommt man einfacher, wenn man etwas Ahnung von Statistik hat. Dass wir so schlecht im Prozentrechnen sind, macht uns anfällig für getrickste Panikmeldungen von Medien, Firmen und Politikern, sagt der Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer im STANDARD-Interview.

STANDARD: Ihr neues Buch beschäftigt sich mit den statistischen Tricks von Politikern und Medien. Wie wird geschummelt?

Krämer: Vielfach. Es gibt Parteien, die davon leben, dass Risiken falsch kommuniziert werden. Wenn ein Mensch in Österreich pro Jahr an einer Krankheit stirbt und im nächsten sind es zwei, dann ist das eine Katastrophe für die Betroffenen, aber für die Volksgesundheit irrelevant. Trotzdem heißt es dann: 100 Prozent Steigerung bei der Mortalität von xy. Panik, Panik, Panik. Medien argumentieren ebenfalls gerne mit relativen Risiken: Verdoppelt sich der Dioxingehalt in Eiern bei der tausendsten Kommastelle, ist das vielleicht eine Steigerung von 100 Prozent, doch man müsste zehn Tonnen Eier essen, bevor man einen Effekt bemerkt.

STANDARD: Und wie tricksen Staaten?

Krämer: Bei den Arbeitslosenquoten zum Beispiel. 2013 kursierte eine Studie in den Medien: 60 Prozent aller Jugendlichen aus Griechenland seien arbeitslos. Wahrscheinlich damit die deutsche Regierung auch weiterhin Zustimmung für ihre Pläne, Milliarden nach Griechenland zu transferieren, findet. Die Studie war getrickst: 60 Prozent der Jugendlichen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, fanden keine Arbeit. Haufenweise Jugendliche sind aber in Ausbildung oder machen einen Fortbildungskurs. Nimmt man alle Jugendlichen als Vergleichsgruppe, wären es nur noch 13 Prozent gewesen. Das ist immer noch nicht wenig, aber längst nicht so katastrophal wie 60 Prozent.

STANDARD: Aber wie wappnet man sich gegen manipulierende Statistiken?

Krämer: Es gibt zwei Punkte, auf die man besonders achten muss: die Kommunikation des Risikos - also ob eine Gefahr absolut besteht oder nur relativ zugenommen hat. Wichtig auch ist die Gestaltung der Umfrage. Ich wette, durch Suggestivfragen könnte ich bei einer Befragung jedes beliebige Ergebnis generieren. Hinzu kommen verzerrte Stichproben: Geliftete Frauen leben deswegen länger, weil sich nur ältere Frauen liften lassen.

STANDARD: Sie wollen die Mathematikstunde in den Schulen reformieren. Warum?

Krämer: Heute lernen Schüler nicht, wie man mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten umgeht. Das ist auch anstrengend. Unser Hirn ist dafür nicht geeicht. Dass ein halb plus ein halb eben nicht zwei Viertel sind, sondern ein Ganzes, müssen wir uns mühsam anlernen. Das machen sogar meine Studierenden falsch. Da fällt mir der berühmte Spruch eines deutschen Fußballnationalspielers ein, der nach Italien gehen wollte: "Ein Drittel mehr Geld? Nein, ich will mindestens ein Viertel!" Und auch prozentrechnen können die wenigsten. Wenn sich mein Gehalt zweimal hintereinander halbiert, ist es nicht bei null. Und 100 Prozent von nichts bleiben nichts. Solche Fehler passieren sehr oft. Bei einer Umfrage unter deutschen Bankkunden hat der Großteil geglaubt, 40 Prozent und ein Vierzigstel seien dasselbe. Diese Menschen sind zahlenblind, das ist das Äquivalent zum Analphabetismus.

STANDARD: Nicht jeder ist Statistiker.

Krämer: Aber manche Sachen muss man wissen. Etwa dass man beim Berechnen von Wachstumsraten nicht das arithmetische Mittel nehmen darf. Weil man so eine positive Wachstumsrate erhalten könnte, obwohl man absolut Verluste erzielt hat. Aber unsere führende deutsche Wirtschaftszeitung, das "Handelsblatt", macht genau das. Ich habe denen geschrieben: "Was ihr da macht, ist Blödsinn!" Den Antwortbrief habe ich heute noch: "Herr Krämer, das wissen wir, aber unsere Leser verstehen es sonst nicht."

STANDARD: Und wie verwendet man nun Durchschnittswerte richtig?

Krämer: Bei Einkommensfragen ist der Median aussagekräftig. Das ist der Wert, der genau in der Mitte liegt. Die Hälfte hat weniger, die andere Hälfte hat mehr. Das arithmetische Mittel würde durch Ausreißer, also einige wenige, die sehr viel haben, in die Höhe gezogen werden. Man berechnet es aber, wenn man etwa zeigen will, wie viel eine bestimmte Berufsgruppe den Staat kostet. (Sonja Spitzer, DER STANDARD, 13.8.2014)