Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Il trovatore – Giuseppe Verdi
Salzburger Festspiele, 12. August 2014

Bild: Oliver Schopf

Alvis Hermanis ist nach eigenem Bekunden ein altmodischer Regisseur. Also lädt er ins Kunsthistorische Museum ein. Nägel sind leicht eingeschlagen, Bilder aus dem reichhaltigen Fundus der christlich-abendländischen Malerei schnell aufgehängt. Nur hat das Ganze einen interpretatorischen Haken: Die Idee hat nichts, aber auch gar nichts mit der Oper "Der Troubadour" gemein.

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Foto: APA/BARBARA GINDL

Der Zugang entstammt der inzwischen etwas eingemotteten Werkzeugkiste postmodernen Erzählens: Museumswärter und Museumswärterinnen imaginieren sich in die Welt jener Bilder hinein, in deren Gegenwart sie täglich viele Stunden verbringen, bis nicht mehr zu unterscheiden ist, ob das Erlebte eine Simulation ist oder die Simulation das einzig Wahre – erwachen die Bilder zum Leben, oder werden die Lebenden transformiert? Damit dieses Gedankenspiel funktioniert, muss die Treppe – à la Escher – über krumme und verschlungene Wege wieder zu ihrem Anfang zurückfinden, muss Realität als Rückwärtsgang von Illusion erscheinen. Egal ob als Zeitreise oder als Projektion konzipiert, die Verbindung zwischen dem Prado und dem Schloss Aliaferia (in dem laut Libretto die Handlung ihren Ausgang nimmt) sollte eine Drehtür sein.

Bei Hermanis dient die Museumskonstellation nur als aufgesetzte Rahmenhandlung, die nichts anderes leistet, als abzulenken. Die Figuren ziehen sich um, teilweise in Dienstschlusseile, sie legen Brille oder Käppi ab, sie entledigen sich der Taschenlampe, mit der sie zuvor das Konterfei ihres historischen Pendants ausgeleuchtet haben (ein Wink mit gebündeltem Licht), und sie stürzen sich in die Tragödie, als seien sie niemals Mindestlohnempfänger gewesen. Hermanis muss gespürt haben, dass seine Idee nicht trägt, denn im vierten Akt hängt er seine Inszenierung ab, entfernt die meisten Bilder (einige landen auf dem Sperrmüll der missratenen Absichten mitten auf der Bühne) und begnügt sich von da an endgültig damit, die überragenden Sänger und Sängerinnen nicht zu stören.

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Foto: APA/BARBARA GINDL

All das wäre unbedacht und oberflächlich, ärgerlich wird die Inszenierung durch das intellektuelle Desinteresse des Regisseurs. Wenn eine Regie eigene Wege geht, sollte sie zumindest ihren Ausgangspunkt im inszenierten Werk suchen, indem sie etwa Ansätze ausarbeitet, die in diesem nur angedeutet sind oder subkutan lauern. Einen erbitterten Kampf um Erinnerung just in einem Museum stattfinden zu lassen ist unsinnig. Museen sind offizielle Determinanten eines Kanons, also auch einer bestimmten repräsentativen Darstellung der Vergangenheit. Die porträtierten Granden sind biografisch verbürgt, ihre Lebensgeschichte enzyklopädisch gesichert. Die dramatische Spannung in "Il trovatore" hingegen rührt aus der Ungewissheit über das Geschehene; die Vergangenheit ist tödlicher Treibsand, den die Figuren ohne Aussicht auf Erfolg durchwaten müssen. Das Trauma einer ungesühnten Ungerechtigkeit perpetuiert Gewalt, und die Gewalt seitens der Marginalisierten und Gedemütigten (an erster Stelle Azucena) richtet sich letztlich gegen sie selbst. Statt solche essenziellen Fragen zu behandeln, bietet die Inszenierung art on wheels, ein Bild nach dem anderen gleitet ohne erkennbaren Sinn über die Bühne, von links nach rechts, von rechts nach links, von hinten nach vorn.

Und wieso wird die Zigeuner-Thematik bei dieser Oper so selten seriös ausgelotet? Zwar sprechen wir inzwischen von Roma und Sinti, aber an der desaströsen sozialen Lage und der tiefverankerten kulturellen Segregation hat sich trotz EU-Programmen wenig geändert. Gerade im rachsüchtigen Schmerz Azucenas bündelt sich eine gegenwärtige Geschichte. "Il trovatore" ist nicht so ein verwirrtes Märchen, wie manche gerne behaupten. Man müsste es allerdings ernst nehmen. Das kann man von einem "altmodischen" Regisseur schon erwarten.

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Foto: EPA/BARBARA GINDL

Aber all das spielte – vermute ich – für die meisten im Publikum überhaupt keine Rolle, denn es sang Anna Netrebko, großartig, himmlisch, intensiv, differenziert, bewegend, unterstützt von den sehr munteren und klaren Wiener Philharmonikern unter Daniele Gatti. Die anderen Sänger und Sängerinnen standen trotz teilweise hervorragender Leistungen in ihrem Schatten. Ein bittersüßer Abend, Wasser auf den Mühlen der Wohlklangfetischisten.

Der Höhepunkt

Anna Netrebko (und da ich bei dieser Inszenierung oft die Augen schloss, tätowierte sich ihr Gesang auf meine entzückten Sinne).

Coda

Vor einiger Zeit saß ich bei einem Oberhaupt eines Roma-Clans im Rhodopen-Gebirge und vernahm die grausame Geschichte seiner Familie. Seine Tochter war verschwunden, vermutlich Menschenhändlern in die Hände gefallen und in die Zwangsprostitution getrieben. Der Mann stand vor seinem Haus, in dem seine Frau unentwegt schwieg, in ihm eine im lähmenden Warten unterdrückte Aggression, die seine Würde untergraben, wenn nicht gar zerstört hatte. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 13.8.2014)