Als ich das erste (und vorläufig das letzte) Mal in Israel war, überwältigten mich so intensive wie widersprüchliche Gefühle: sehr heimisch und unglaublich fremd. Ich hätte mir vorstellen können, sofort und für immer dort zu bleiben. Ich folgte jedoch dem Fluchtimpuls der nächsten Tage und reiste voreilig ab.

Wir schrieben das Jahr 1994, einer jener Busse, mit denen ich nach Tel Aviv fuhr, um dort zu flanieren, flog einige Zeit später in die Luft. Körperteile, Verletzte, Tote. Ich hatte diese ängstliche Anspannung nie abgelegt, die Erwartung drohender Gefahr. Die Menschen, die dort leben, haben gelernt, sie zu ignorieren. Das gegenseitige Misstrauen schien mir schon damals groß.

Meine Cousine, die zugewanderte Russin, die Palästinenser hasste, ohne deren Lebenssituation zu kennen, hatte jede Menge Streit mit mir. Der Rest der Familie war zurückhaltender, um Konflikte mit der unbeteiligten Europäerin, die sowieso nichts von ihrer Realität verstand, zu vermeiden. Der palästinensische Vater einer guten Bekannten kritisierte ihre Freundschaft zu mir mit den härtesten Worten: wie sie sich dazu hatte herablassen können. Mit dem Feind. Ein Schlag in sein Gesicht. Dabei waren beide Familien selbst noch nie in einen Akt der Aggression verwickelt gewesen. Sie lebten das, was vorgelebt wurde, weiter.

Ich ertrug diese Spannungen nicht. Ich hatte noch ein anderes Heim und damit einen Ausweg. Meine Verwandten blieben und verstanden meine Bedenken keineswegs. Der Siedlungsbau erschien ihnen nicht so fragwürdig wie mir. Sie warfen mir vor, ihr Leid zu ignorieren, ja die Gewalt ihnen gegenüber zu entschuldigen. Dieser Riss geht tief.

Viele Jahre später übersetzte ich simultan auf dem Weltkongress für Psychotherapie mit dem Motto "Anima Mundi - Globalisierung als Herausforderung". Am Schulschiff fand auch ein Workshop statt, der diesen Konflikt von Psychotherapeuten beider Seiten beleuchten wollte. Die Experten gerieten sich vor viel Publikum derart in die Haare, dass manche von ihnen zu schreien begannen. Dabei waren das unabhängige Fachleute, die sich genau damit befassten: dem Finden gemeinsamer Wege.

Im Augenblick fliegen wieder Raketen, Häuser werden abgerissen, Menschen sterben. Der Riss ist tief und wird durch die Machenschaften der Hamas nicht kleiner. Das ist Absicht. Es gibt Interesse daran, den Status quo zu halten. Eines ist klar: Getrennte Wege wird es aus diesem Konflikt keine geben. Es ist ungewiss, wie viele Generationen es braucht, um Traumata wie der ständigen Angst, der Gewalt und des Misstrauens zu überwinden. Klar zu sein scheint, dass es die jetzige Generation an den Machthebeln beider Konfliktpartner nicht bewältigen wird. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 16./17.8.2014)