Die Etablierung des "Islamischen Staates" in Syrien und dem Irak macht nicht vor der europäischen Haustüre halt, animiert sie doch laufend vor allem junge Männer aufzubrechen und in den Jihad zu ziehen. Die europäischen Staaten reagieren verhalten auf diese überraschende Dynamik. Bisher steht der "Islamische Staat" im Gegensatz zu den USA noch nicht auf der Terrorliste der EU. Und jede andere Handhabe gegen Islamisten müssen die EU-Mitglieder auf nationalstaatlicher Ebene selbst regeln.

Staatsbürgerschaftsentzug oder Ausreiseverbot

Das passiert auf sehr unterschiedliche Art und Weise. In manchen Staaten gibt es Reisebeschränkungen oder Gesetze, die den Entzug der Staatsbürgerschaft ermöglichen. Wer tatsächlich aktiv wird, eine Terrororganisation mitfinanziert oder selbst in den Krieg zieht, kann in den allermeisten europäischen Ursprungsländern – zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden, im Nachhinein angeklagt werden. "Es ist jedoch nicht leicht, dann auch Beweise und Augenzeugen dafür zu finden", sagt Peter Knoope vom "International Centre for Counter-Terrorism" in Den Haag. Erfolgt der Nachweis vor Gericht und eine Verurteilung kann in Frankreich und den Niederlanden die Staatsbürgerschaft entzogen werden, allerdings nur, wenn der Verurteilte dann nicht staatenlos ist. Eine ähnliche Gesetzesverschärfung wird auch in Österreich in Erwägung gezogen, allerdings gibt es hierzulande nur sehr selten Doppelstaatsbürgerschaften. (derStandard.at berichtete)

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In Frankfurt protestieren Jesiden gegen die Verfolgung ihrer Landsleute im Irak.
Foto: Reuters/Orlowski

Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière kann sich vorstellen, dass amtsbekannten Islamisten, die ausreisen wollen, künftig im Verdachtsfall der Personalausweis abgenommen wird, um so eine Ausreise über die Türkei zu verunmöglichen. Derzeit reicht ein Personalausweis, um dort über die Grenze zu kommen.

Eine transnationale Zusammenarbeit um gegen den Jihad-Tourismus vorzugehen, gibt es bis dato nur von Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Spanien und Schweden. Diese Länder unterzeichneten vergangenen Juli einen gemeinsamen Aktionsplan, der durch Informationsaustausch ermöglichen soll, dass gefährdete Staatsbürger schon vor ihrer Ausreise nach Syrien oder in den Irak identifiziert werden können. Zusätzlich will die EU Präventionsprogramme in den Westbalkanstaaten fördern.

Verbote vs. Monitoring

Alles andere, die Verherrlichung der Gräueltaten der IS in sozialen Netzwerken, das Demonstrieren mit jihadistischen Symbolen, wie es derzeit auch in Österreich passiert, ist derzeit nicht belangbar. Vielerorts werden nun Verbote angedacht, die Jihad-Fans an der Zurschaustellung ihrer Ideologie hindern sollen. Ein Vorschlag, den Knoope nicht für zielführend hält: "Dann werden diese Aktivitäten erst recht in den Untergrund abgedrängt und können noch weniger kontrolliert und beobachtet werden."

Neben der Befürchtung, dass damit die Meinungsfreiheit drastisch beschnitten würde, seien den Behörden auch bei der praktischen Umsetzung enge Grenzen gesetzt, wie Knoope an einem Beispiel festmacht: "Es gibt hunderte Morddrohungen jeden Tag im Internet. Alle zu verfolgen, ist unmöglich." Neben der Radikalisierung über soziale Netzwerke ist es dann auch die Ein- und Ausreise, die zu Problem führt.

Best-Practice-Beispiel Dänemark

Die skandinavischen Länder nennt Knoope als Vorreiter im Umgang mit Jihadismus: "Dänemark zum Beispiel sucht wirklich aktiv die Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Familien, deren Söhne in Syrien oder im Irak sind. Die Behörden bekommen dadurch Informationen darüber, was dort vor sich geht und wer plant, auch hinzugehen." Die Familien würden dann auch versuchen ihre Söhne zur Rückkehr zu bewegen, indem sie zum Beispiel die Reaktionen aus dem Umfeld schildern. Eine Methode, die in Dänemark Wirkung zeigt. "Aus einer dänischen Stadt waren 40 bis 50 Männer in Syrien. Kein einziger von ihnen ist jetzt noch vor Ort. Alle konnten zurückgeholt werden“, erzählt Knoope.

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Die derzeitige Gesetzgebung in Deutschland verbietet die Symbole des Islamischen Staates nicht. In Saarbrücken kann deshalb auch wochenlang eine IS-Fahne ausgestellt werden.
Foto: APA/EPA/Stratenschulte

Rückfällig würden die wenigsten der Rückkehrer. "95 Prozent sind unglücklich, müde und traumatisiert. Sie wollen nur ein normales Leben führen", sagt Knoope. Die restlichen fünf Prozent vermuten den Feind auch im Ursprungsland. "Diese Menschen müssen beobachtet werden. Zu ihnen muss auch ein Zugang gefunden werden, dafür muss man ein Experte sein und die religiösen Narrative kennen", so Knoope. In Belgien und den Niederlanden gibt es Teams aus Psychologen, Sozialarbeitern und Sicherheitskräften, die mit den Communities eng zusammenarbeiten. Er sieht das als wichtigste Antiterrormaßnahme.

Gefahr der weiteren Destabilisierung der arabischen Welt

Derzeit vermutet die EU-Kommission rund 2000 Islamisten aus Europa im Irak und in Syrien, deren mögliche Rückkehr von vielen als ernsthafte Bedrohung der Sicherheit eingestuft wird. Die Rekrutierungszahl ist allerdings im Vergleich zu anderen Erdteilen, wie Nordafrika, niedrig. Darüber, was passiert, wenn der Islamische Staat einen Sieg oder eine Niederlage einfährt und die Kämpfer arbeitslos sind, können nur Mutmaßungen angestellt werden.

Vielerorts werden allerdings jetzt schon Erinnerungen an den Afghanistan-Krieg wach: "Als die Russen damals besiegt waren, hatten die Mudschaheddin plötzlich andere Destinationen als Ziel: Algerien, Jemen, Bosnien", erzählt Knoope. Die Jihadisten könnte die arabische Welt auch in ganz anderen Teilen destabilisieren, befürchtet er: "Ich entschuldige mich für diesen Vergleich, aber ich bezeichne das als Metastasen. Wir wissen nicht, wo sie als nächstes hingehen und das ist beängstigend." (tee, derStandard.at, 13.8.2014)