Im Irak bahnt sich ein Genozid an der Volksgruppe der Jesiden an, doch die internationale Gemeinschaft verharrt weitgehend in faszinierter Schockstarre. Die USA kündigen an, weitere "Militärberater" zu entsenden (so begann in den 1960er-Jahren der unheilvolle Vietnamkrieg), und die Uno beteuert wieder einmal, in tiefer Sorge zu sein. Doch mehr als eine nicht bindende Erklärung - also nicht einmal eine Resolution - mit dem Appell zur Beendigung der Gewalt und zur Hilfeleistung für die reguläre Macht im Irak kam dabei noch nicht heraus.

Auch die EU konnte sich bisher gerade einmal zu einem Beschluss durchringen, der es den einzelnen Mitgliedsstaaten freistellt, militärische Hilfe zu leisten, sprich: Waffen zu liefern - und zwar "in enger Abstimmung mit der irakischen Regierung". Diese ist, wie man am aktuellen Machtkampf in Bagdad ablesen kann, de facto inexistent oder zumindest paralysiert.

Was in Brüssel einmal mehr auf der Strecke geblieben ist, ist die Politik des gemeinsamen Vorgehens. Es ist fast schon gleichgültig, dass dieser Beschluss vorerst "nur" auf Botschafterebene gefasst wurde, denn der Sondergipfel der EU-Außenminister am Freitag wird auch nicht viel mehr zuwege bringen als die Absicht, eine Mission zur Rettung der Jesiden in die Wege leiten zu wollen. Zu heterogen sind die Eigeninteressen der 28 gleichberechtigten Regierungen. Und zu wenig ausgeprägt ist die Durchsetzungsfähigkeit der Außenbeauftragten Catherine Ashton.

Abgesehen davon, dass völlig unklar bleibt, wer welche Waffen bekommen sollte und wie sie einzusetzen seien: Die neuesten Nachrichten aus Brüssel sind ein weiterer Beweis dafür, wie knieweich die sogenannte gemeinsame EU-Außenpolitik ausfällt. Dabei geht es im Kern um wichtigste Fragen: Sind wir wirklich der Kontinent der Demokratie, der Humanität und der Menschenrechte? Sind das tatsächlich unsere gemeinsamen Werte oder bloß Lippenbekenntnisse? Oder verbindet uns bloß das gemeinsame Interesse, mittels gemeinsamer Währung für möglichst viel Wohlstand zu sorgen - wohlgemerkt: für uns selbst?

Die dramatischen Ereignisse im Irak und in Syrien - aber auch im Nahen Osten und in der Ukraine - erweisen sich in diesen Tagen als Prüfstein dafür, was diese Werte für Europa, das selbst vor sieben Jahrzehnten aus einem Horror heraus erstand, bedeuten. Dass die EU-Außenpolitik einmal mehr daran scheitern wird, ist allerdings zu befürchten. (Gianluca Wallisch, DER STANDARD, 14.8.2014)