Einige der Reaktionen auf meinen Kommentar über das frühkindlichen Lernen von Deutsch in Migrantenfamilien erinnern mich an die Szene mit dem Ehepaar, das im Auto an einer roten Ampel hält. Sie sitzt am Steuer. Die Ampel wird grün. Er sagt: "Wir haben grün". Sie hört: "Du kannst noch immer nicht Auto fahren." (Okay, der Mann mag schon früher einmal etwas über den Fahrstil seiner Frau gesagt haben.) In meinem Falle haben manche Sprachwissenschaftler und Integrationsexpertinnen aus meinem Text Aussagen herausgelesen bzw. Vermutungen hineininterpretiert, die mir nicht im Traum einfallen würden. Da wird "Druck auf die Mütter, Deutsch zu reden" befürchtet oder gar die "Vernachlässigung der Familiensprache" . Davon kann keine Rede sein.

Meine "Vision" der sprachlichen Integration von Migrantenkindern ist "echte Zweisprachigkeit", die darin besteht, dass Kinder die identitätsstiftende Geborgenheit der Mutter/Familiensprache erfahren, zugleich aber und von frühester Kindheit an (also nicht erst vom Kindergarten an) AUCH Deutsch erlernen, spielerisch und ohne Zwang, gemeinsam mit ihren Müttern/Eltern, die dazu stärker als bisher ermächtigt und ermuntert werden sollen und denen eindringlicher als bisher klar gemacht wird, dass mangelhafte Deutschkenntnisse die Bildungs- und Berufschancen ihrer Kinder beeinträchtigen.

Diese Position erscheint mir nicht meilenweit entfernt von den Optionen, die Frau Herzog-Punzenberger in ihrem Beitrag im Nationalen Österreichischen Bildungsbericht 2012 präsentiert, nämlich die frühkindliche Sprachförderung von Migrantenkindern zu einer politischen Priorität zu erklären und wie in Deutschland jedem Migrantenkind ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz zu gewähren. Und ihre Idee eines "Portfoliosystems, in dem das Wissen über Entwicklungsstand und Förderung des Kindes gesammelt wird ... und dadurch der Sichtbarmachung und Wertschätzung individueller Mehrsprachigkeit (dient)", ist von meiner Anregung zur einschlägigen Nutzung des Mutter-Kind-Passes mit freiem Auge kaum zu unterscheiden.

Auch deutsche Reime

Ist es tatsächlich eine Zumutung, junge Migranteneltern zu ermuntern, gemeinsam mit ihren Kleinkindern nicht bloß türkische oder serbische, sondern AUCH deutsche Reime, Kinderlieder und Geschichtchen zu erlernen? Ich halte das für möglich - ohne Krampf, ohne Zwang und ohne Peinlichkeit. Frau Herzog-Punzenberger meint, sie wäre in Kanada nie auf die Idee gekommen, mit ihrer Tochter Englisch zu sprechen. Ohne persönlich zu werden: Für sie als temporäre Ausländerin war das kein "big deal". Jedoch für eine ukrainische oder syrische Immigrantin "für immer", die gerade einen "Leben in Österreich" Integrationssprachkurs macht, erscheint es mir nicht außerirdisch, das Kind am soeben Gelernten kindgemäß (!) teilhaben zu lassen.

Hans-Jürgen Krumm und Barbara Herzog-Punzenberger (der Standard vom 11. August 2014) scheinen aus meinem Text ein Plädoyer für ein "monolinguales Anpassungsmodell" herauszuhören. Big mistake. Ich betrachte nicht bloß Mehrsprachigkeit als eine kostbare persönliche wie gesellschaftliche Ressource, sondern auch die Beibehaltung regionaler Dialekte. Ich habe zeit meines Lebens mit großem Vergnügen meinen oberösterreichischen Dialekt beibehalten und bringe gerade meinem Wiener Enkel bei, was ein "Oadaxl" (eine Eidechse, Anm.) und eine "Mülipitschn" (eine Milchkanne, Anm.) ist und warum ich als Kind im Winter im Salzkammergut auf der Straße "Füzpotschn" getragen habe. (Karl Heinz Gruber, DER STANDARD, 14.8.2014)