Wiener Neustadt - Ja, gute Frage: Darf in einer Halle, in der während der Nazizeit Waffen produziert, in der politische Häftlinge zu Zwangsarbeit missbraucht wurden, Theater gespielt werden? Darf gelacht, geweint - und im Falle von Alma - A Show Biz ans Ende - sogar gegessen werden? Oder muss die Halle als gigantisches Industrie-Nazidenkmal leer stehen bleiben - und so letztlich der Vergessenheit anheimfallen?
Nur mehr wenige kennen die tragische Geschichte der im Volksmund "Serbenhalle" genannten Roigk-Halle, die von den Nazis in Serbien erbeutet, abgetragen und in Wiener Neustadt wiederaufgebaut wurde. Und nun also ist Paulus Manker mit Joshua Sobols Polydrama über eine monströse Frau in die monströse Halle eingezogen - und es ist gut so. Sehr gut sogar.
Nicht nur, dass Manker im Programmheft die blutgetränkte Vergangenheit den Besuchern ins Bewusstsein brennt: Die Geschichte Almas, Tochter des Malers Emil Jakob Schindler, ihr Leben und Lieben und Leiden mit den berühmtesten Künstlern ihrer Zeit - Gustav Klimt, Alexander Zemlinsky, Oskar Kokoschka als ihre rasenden Liebhaber; Gustav Mahler, Walter Gropius, Franz Werfel als ihre mehr oder minder unglücklichen Ehemänner - ist wie maßgeschrieben für diesen Ort.
Verloren- und Verlogenheit, Orientierungssuche, Überlebenskampf inmitten menschlicher Grausamkeit, Sehnsucht nach Nähe, Liebe, Schönheit und danach gehört, erhört zu werden: All dies wird herzzerreißend klar in der ehemaligen KZ-Außenstelle.
Kein Berieselungstheater
Alma Mahler-Werfel (Jutta Hoffmann) feiert heuer also ihren 135. Geburtstag. Auf einem palmengeschmückten Wartungseisenbahnwagon fährt sie ein, bittet ihre Liebhaber und Männer zu sich. "Immer", sagt sie mit höhnischem Unterton, "haben mich nur Juden verehrt." Und dennoch drängt sie, die unverbesserliche Antisemitin, ihren dritten und letzten Mann Franz Werfel (Christian Klischat) zur lebensrettenden Flucht nach der Unterzeichnung des Berchtesgadener Abkommens im Februar 1938.
Alma - A Show Biz ans Ende ist kein Berieselungstheater, in dem das Publikum zwischendurch auch einmal kurz einnicken kann. Regisseur Manker, der selbst den liebesfuriosen Oskar Kokoschka spielt, bewegt seine Besucher in jedem Sinn des Wortes. Drei junge Almas (Anna Franziska Srna, Veronika Glatzner und Katja Sallay) führen das Publikum in 60 Szenen durch Raum und Zeit und ihre Lebensabschnittspartnerschaften. Da streiten Alma und Gustav Mahler (gespielt vom englischsprechenden Israeli Doron Tavori) über eine Künstlerehe - "Ich will dich als meine Frau, nicht als meine Kollegin"; da kämpft Gropius (Béla Emanuel Bufe) um die Treue seiner Frau. Da tröstet sich schließlich Kokoschka mit einer großen Alma-Puppe.
Teppiche, Bücher, Rollstühle, Bilder, ja sogar duftendes Brot und Gemüse: Detailversessen und bis zu originalen Pillendöschen in der Heilanstalt hat Manker mit Bühnenbildner Georg Resetschnig Küchen, Salons, Bibliotheken, Ateliers, Heilbäder der damaligen Zeit zum Leben erweckt.
Mankers Regiestil ist das Gegenmodell zu Katie Mitchell. Während Mitchell die begrenzte Guckkastenbühne zu einem Filmset aufmotzt, das Bühnengeschehen dem Publikum als Videoinstallation vorsetzt, sprengt Manker die vierte Wand. Jeder Besucher montiert in und mit seiner eigenen Fantasie die Theaterbilder und -sequenzen zu seinem individuellen Film mit eigenen Hauptdarstellern und Nebenschauplätzen.
Wenn also der Beweis zu erbringen wäre, dass Kunst ein Gebäude neu definieren kann, ohne die Geschichte zu verdrängen, so ist dies Paulus Manker gelungen. Zu wünschen ist, dass er die Roigk-Halle auch in den kommenden Jahren bespielen dürfen wird: mit seiner Alma, die nächsten Sommer 20-Jahr-Jubiläum feiert.
Übrigens: Auch Die letzten Tage der Menschheit auf Manker-Art wären dort grandios - 2018, hundert Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 18.8.2014)