Klosterneuburg - Für viele Diabetespatienten ist es tägliche Routine: Ein Bluttropfen aus der Fingerspitze wird auf einen Teststreifen aufgebracht. Ein Messgerät bestimmt dann den Blutzuckerwert. Der Nachteil dabei: Es handelt sich immer nur um einen punktuellen Wert. Selbst mehrere Messungen pro Tag können nicht alle Ups und Downs, jeden Ausreißer nach oben oder unten abbilden.
In Zukunft sollen deshalb spezielle Biosensoren den Blutzuckerspiegel kontinuierlich messen. Diabetespatienten können dann ein kleines Plättchen unter der Haut tragen, das alle paar Minuten die aktuellen Messwerte an ein Lesegerät schickt. So werden auch Extremwerte im Glukosehaushalt aufgedeckt, die bisher versteckt geblieben waren.
"Die kontinuierlichen Systeme, die es bereits gibt, haben noch Probleme mit der Genauigkeit", erklärt der Biotechnologe und Start-up-Gründer Christoph Sygmund. Mit seinem Unternehmen Directsens, das er gemeinsam mit vier Kollegen gegründet hat, möchte er exaktere und einfacher aufgebaute Biosensoren entwickeln - für die Blutzuckermessung, aber auch für andere Bereiche, in denen Zucker- und Kohlehydratkonzentrationen genau bestimmt werden müssen.
Holzabbauender Pilz findet Zucker
Basis für diese Vorhaben ist ein holzabbauender Pilz: Corynascus thermophilus. Die Start-up-Gründer, die allesamt Postdocs an der Boku Wien waren oder sind, entdeckten, dass sich ein Enzym des Waldbodenbewohners auch dazu eignet, um als Erkennungselement in Biosensoren verschiedene Zuckerarten nachzuweisen.
"Der Versuch, das entsprechende Patent zu verwerten, zeigte, dass die Biotechunternehmen unserer Entdeckung zwar großes Potenzial zugestanden. Sie fanden es dann aber doch zu weit weg von einem konkreten Produkt", blickt Sygmund zurück. "Wir wollten unsere Idee aber nicht fallenlassen. Also nahmen wir die Verwertung selbst in die Hand und haben ein Unternehmen gegründet."
Das war 2013. Die Klosterneuburger Neugründung sei dabei den "klassischen Start-up-Weg" gegangen und habe die entsprechenden Inkubatoren genützt: das Accent-Gründerservice des Landes Niederösterreich und das Preseed-Programm der Förderagentur AWS. Die Entwicklung des Biosensors für die Blutzuckermessung wird im Rahmen eines dreijährigen Projekts von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützt.
Am Ende der Entwicklungszeit soll ein Prototyp eines Blutzuckerbiosensors für kontinuierliche Messungen stehen. Bisherige enzymbasierte Methoden hätten zwar vor allem im Niedrigzuckerbereich Probleme, aber auch dann, wenn bestimmte pharmazeutische Wirkstoffe und andere Substanzen in die Quere kommen, erklärt Sygmund. Probleme, die durch das Pilzenzym ausgeräumt würden. Der größte Vorteil sei aber, dass ein neuer Aufbau des Biosensors möglich wird. "Bisherige Enzyme sind abhängig von sogenannten Mediatoren, die die analytische Information vom Enzym auf die Elektrode übertragen. Unser Enzym kann direkt mit der Elektrode kommunizieren. Der Sensoraufbau wird also einfacher."
Das Enzym, das auf einem Elektrodenmaterial aufgebracht ist, setzt im Zuge der Messung den vorhandenen Zucker um. Dabei werden Elektronen frei. Die Anzahl der freiwerdenden Elektronen steht in Relation zu der vorhandenen Zuckerkonzentration. Die Elektronen werden dann direkt auf die speziell präparierte Elektrode transferiert, wo somit die Information über die Zuckerkonzentration ausgelesen werden kann.
Nach demselben Prinzip arbeitet auch eine weitere Anwendung von Cellobiose Dehydrogenase - so die Bezeichnung des Enzyms -, die von Directsens entwickelt wird. So wie der Zucker im Blut kann mithilfe des Pilzenzyms nämlich auch der Zucker in der Milch gemessen werden. Milchzucker, also Laktose, kann - global gesehen - von den meisten Menschen im Körper nicht abgebaut werden. Die meisten Europäer haben die notwendige Enzym-Ausstattung hingegen im Zuge der Sesshaftwerdung und der landwirtschaftlichen Tierhaltung evolutionär erworben.
Laktosetests von Produkten
Directsens will nun bei der Herstellung laktosefreier Milchprodukte einhaken: "Es steht noch keine schnelle, einfache und kostengünstige Methode zur Verfügung, um das Laktoseniveau während der Produktion überwachen zu können", erklärt Sygmund. "Deshalb entwickeln wir einen Biosensor in Form eines Teststreifens, der die Konzentration von Laktose in Milchprodukten jederzeit überprüfbar macht." Das mache es einfacher, die vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.
Die Wissenschafter des Klosterneuburger Life-Science-Start-ups haben auf Basis ihrer Erkenntnisse über das Pilzenzym eine Technologieplattform entwickelt, die ermöglichen soll, spezifische Biosensoren für verschiedene Kohlenhydrat- und Zuckerarten zu generieren. "Eine Vielzahl von Enzymvarianten steht zur Verfügung. Sie können durch unterschiedliche Eigenschaften verschiedene Molekültypen ansprechen", sagt Sygmund.
Für die beiden laufenden Entwicklungen haben sie die jeweils am besten passenden Varianten ausgewählt und gentechnisch optimiert. "Der Einfluss von Störsubstanzen wurde reduziert, und Aminosäuren wurden ausgetauscht, um eine optimale Funktionsweise zu erreichen." Im Fall des Laktoseteststreifens ist der Prototyp bereits fertig. "Wenn alles gutgeht, können wir Ende 2015 damit auf den Markt gehen." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 20.8.2014)