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Ein Soldat bewacht am Mittwoch das pakistanische Parlamentsgebäude. Der Schutz hat allerdings zwei Seiten - die Streitkräfte verfolgen ein präzises Machtkalkül.

Foto: EPA/BILAWAL ARBAB

Islamabad / Neu-Delhi - Es sind bittere Tage für Nawaz Sharif. Erst vor 15 Monaten hatte er bei den Wahlen einen triumphalen Sieg geholt, doch nun liegt das politische Überleben des pakistanischen Regierungschefs ausgerechnet in der Hand seines ärgsten Feindes: des Militärs. Zehntausende Demonstranten, die bereits seit Freitag Islamabad belagern, haben in der Nacht zum Mittwoch die "Red Zone", die Bannmeile um das Regierungs- und Parlamentsviertel, gestürmt.

Mit Baukränen und Bolzenschneidern räumten die Massen Schiffscontainer aus dem Weg, hinter denen sich die Sharif- Regierung verschanzt hatte. Angeführt werden die Aufmärsche von dem Politiker und früheren Kricketstar Imran Khan, der bei der Wahl Sharif unterlegen war, und dem Prediger Tahir ul-Qadri, der über eine treue Gefolgschaft verfügt. Wenn Sharif nicht bis Mittwochabend zurücktrete, würden die Demonstranten das Haus des Premierministers stürmen, drohte Khan.

In seiner Not blieb Sharif kaum etwas anderes übrig, als die Armee zur Hilfe zu rufen, der er abgrundtief misstraut. Genussvoll nutzten die Generäle die Lage, um dem Premier zu zeigen, wer im Staate Pakistan die Hosen anhat. In der Nacht zum Mittwoch ließen sie einen regelrechten Pseudo-Coup abspulen. Am Nachmittag war bereits die 111. Brigade ausgerückt, die immer wieder bei Machtübernahmen durch das Militär eine Rolle spielte. In der Nacht überschlugen sich die Meldungen. Das Militär habe den Kontrollraum im Innenministerium übernommen, meldeten Medien. Gegen Mitternacht gingen dann auch noch voller düsterer Symbolik die Lichter des Parlaments aus.

Staatsmännisches Militär

Pakistan hielt den Atem an. In der Geschichte des Landes hat das Militär immer wieder die Macht an sich gerissen. Zuletzt war Sharif 1999 von dem damaligen Militärchef Pervez Musharraf aus dem Amt geputscht worden. Doch dann gab es Entwarnung. Die Streitkräfte würden die Regierungsgebäude als Symbole des Staates schützen, ließ die Armee unschuldig versichern - und riefen obendrein noch staatsmännisch "zum Dialog" auf.

Das nächtliche Spektakel schien vor allem eine Drohgebärde. Die Generäle wollten Sharif offenbar bedeuten, wie schnell er seinen Posten los sein könnte, wenn er nicht spurt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Verhältnis angespannt ist. Dem Militär passen Sharifs Friedensofferten an Indien und an die pakistanischen Taliban nicht. Zudem hat er Musharraf wegen Hochverrats angeklagt - ein Vergehen, für das die Todesstrafe droht - und unter Hausarrest stellen lassen. Ein Affront in den Augen der Armee.

Die Zeitung Dawn sieht Sharif empfindlich geschwächt und zusammengestaucht. Das Militär habe den 64-Jährigen über Nacht von einem "zarengleichen Premierminister auf den Status eines stellvertretenden Beauftragten" geschrumpft, schrieb das Blatt am Mittwoch. Die Generäle hätten Sharif zwar versichert, dass es keinen Coup geben werde. Aber sie hätten zugleich klargemacht, dass seine Regierung nur überleben werde, wenn das Militär künftig politisch mitentscheide, zitierte die Zeitung ungenannte Quellen.

Perfide Strategie

Sharif schwieg am Mittwoch zu den Vorgängen. Viele Beobachter unterstellen dem Militär eine perfide Strategie: Die Armee ziehe auch im Hintergrund die Fäden für die Proteste. Sowohl Khan als auch Qadri werden gute Drähte zu den Generälen nachgesagt. Noch sind die Proteste nicht beendet, aber eines steht schon fest: "Der große Verlierer wird Nawaz sein", zitiert Dawn ein Kabinettsmitglied. Dagegen gehe das Militär als klarer Sieger aus dem Protesttheater der vergangenen Tage hervor.

Zwar schien der Aufstand mit der Deadline am Mittwochabend seinem Höhepunkt entgegenzulaufen. Allerdings erklärten Khan und Qadri sich laut Medien, wie vom Militär zuvor gefordert, inzwischen zu Gesprächen mit der Sharif-Regierung bereit. Zudem warnte Qadri seine Gefolgschaft davor, das Militär zu attackieren. "Wenn jemand seine Hand gegen die Armee erhebt, ist er nicht mehr bei uns willkommen." (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 21.8.2014)