Oxford/Wien - Wie verbreitet er einst in Eurasien gewesen sein muss, wissen wir nicht zuletzt durch die Vielzahl erhaltener Fossilien und Artefakte: Der Neandertaler (Homo neanderthalensis) ist neben dem modernen Menschen (Homo sapiens) die am besten überlieferte Art der Hominini.

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Replik eines Neandertalerschädels, der im nordkroatischen Krapina gefunden wurde.
Foto: Reuters/NIKOLA SOLIC

Sicher ist, dass die beiden Menschenarten für geraume Zeit dieselben Gegenden bewohnten und - auch sexuell - miteinander in Kontakt kamen. Forschern ist bereits in den vergangenen Jahren die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms und damit auch der Nachweis gelungen, dass der Genfluss der Neandertaler zum Genom der heutigen nichtafrikanischen Bevölkerung etwa zwei bis vier Prozent beträgt.

Neue Analysetechniken

Das größte Rätsel um diese Menschenart ist jedoch weiterhin ungelöst: Wann die letzten Neandertaler verschwanden und warum sie ausstarben, ist nach wie vor umstritten. Forschern um Tom Higham von der Universität Oxford könnte nun ein wichtiger Schritt zur Beantwortung des Wann gelungen sein: Geht es nach ihrer aktuell im Fachblatt "Nature" erschienenen Studie, verschwanden die letzten Neandertaler vor spätestens 39.000 Jahren aus Europa. Zu diesem Befund kommen die Wissenschafter mithilfe neuer massenspektrometrischer Techniken zur Verfeinerung der Radiokarbonmethode.

Unterkiefer eines Neandertalers aus Zafarraya in der spanischen Provinz Granada.
Foto: Thomas Higham

Sie analysierten hunderte Proben von insgesamt 40 archäologischen Fundstätten in Eurasien, die entweder der Steinwerkzeugindustrie des mittelpaläolithischen Moustérien, der Übergangskultur Châtelperronien oder der Uluzzien-Kultur zugerechnet werden. Die Epoche des Moustérien wird eindeutig den Neandertalern zugeschrieben, die Uluzzien-Kultur dem frühen europäischen Homo sapiens. Die Einordnung der Châtelperronien-Kultur ist umstritten. Da das Ende dieser Phase aber in denselben Zeitraum wie das der Moustérien-Kultur falle, beeinflusse die Zuordnung das Ergebnis nicht, so die Forscher.

Aus den gewonnenen Daten errechneten sie, dass die Neandertaler vor rund 41.000 bis 39.000 Jahren vollständig verschwanden. Die Überschneidungsdauer mit Homo sapiens in Eurasien betrage demnach 2600 bis 5400 Jahre.

Armknochen mit Schnittspuren aus der El-Sidrón-Höhle im Norden Spaniens.
Foto: Thomas Higham

Fragezeichen bleiben

Unumstritten sind diese Ergebnisse freilich nicht. Genetiker datieren den größten Gen-Austausch zwischen den beiden Arten nämlich schon viel früher. Hinzu kommt, dass Teile Mittel- und Osteuropas in dem aktuellen Modell nicht berücksichtigt wurden. In jedem Fall aber haben Higham und seine Kollegen wortwörtlich neue Maßstäbe gesetzt, um dieses uralte Rätsel zu lösen. (David Rennert, DER STANDARD, 21.8.2014)