Mohamed M. war 2007 der erste in Österreich verhaftete Jihadist. Nach Verbüßung seiner Strafe tauchte er unter.

Spätestens als Mohamed M. 2007 als erster "Austro-Islamist" verhaftet und zwei Jahre später zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, war klar, dass Österreich keine Insel der Seligen in Bezug auf sogenannte Jihadisten ist. M., ein Österreicher mit ägyptischen Wurzeln, hatte via Internet offen mit Anschlägen gedroht, nach der Verbüßung seiner Strafe tauchte er im Ausland unter.

Mittlerweile hat sich Wien zu einer Drehscheibe für "Foreign Fighters" entwickelt. Zumindest für islamistische Kämpfer, die in Syrien in den Bürgerkrieg ziehen. Im Herbst 2013 trafen sich radikalislamische Salafisten, um Spenden für Kämpfer zu sammeln.

"Der Konflikt in Syrien zieht Foreign Fighters aus ganz Europa an. Die Attraktivität ergibt sich sowohl aus praktischen als auch aus ideologischen Gründen. Syrien ist auf einfachen und ungefährlichen Wegen zu erreichen", heißt es im aktuellen Lagebericht des heimischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Und weiter: Der Österreich-Bezug manifestiere sich "vor allem bei der Rekrutierung sowie der Reiseroute europäischer beziehungsweise österreichischer Kämpfer über den Westbalkan nach Syrien".

Auch die neun am Mittwoch festgenommenen Tschetschenen, die in Österreich aufrechten Asylstatus haben, dürften diese Reiseroute angepeilt haben. Sie sollen von radikalsalafistischen Terroristen angeworben sein. Ob es sich dabei um die berüchtigte IS ("Islamischer Staat") handelt, war vorerst nicht bekannt.

Haftentscheidung bis Freitag

Die Gruppe - acht Männer und eine Frau im Alter von 17 bis 32 Jahren - ist zweigeteilt. Vier Verdächtige befinden sich in Wien, die fünf anderen in Klagenfurt. Ein türkischer Staatsbürger, der in Österreich als Mittelsmann fungiert haben soll, wurde auf freiem Fuß angezeigt. Über die vier Verdächtigen im Wiener Landesgericht wurde bereits Donnerstagabend die U-Haft verhängt und ein Asylaberkennungsverfahren eingeleitet. Es bestehe Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr. Mit einer Entscheidung des Haftrichters in Klagenfurt wurde spätestens am Freitag gerechnet.

Laut Verfassungsschutz sind rund ein Viertel der aus Österreich nach Syrien reisenden Personen österreichische Staatsangehörige, "deren Familien aus Südosteuropa und der Westbalkan-Region stammen."

Bekannt ist, dass mehr als 100 Muslime im Vorjahr von Österreich nach Syrien aufgebrochen sind, rund 60 dürften sich momentan im Krisengebiet aufhalten. In Deutschland waren es im gleichen Zeitraum geschätzte 230. Aber, so erzählt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes: "Die Zahlen ändern sich täglich."

Festzustellen, ob jemand radikale Ansichten entwickelt, ist schwierig: Der Verfassungsschutz darf nicht einfach Profile in sozialen Netzwerken nach Auffälligkeiten durchsuchen, sondern nur auf konkreten Verdacht und mit richterlichem Beschluss.

Wenn nichts gefunden wird, was weitere Ermittlungen notwendig macht, muss alles nach sechs Monaten gelöscht werden. "Wenn sich danach einer in die Luft jagt, heißt es, wir hätten das wissen müssen", sagt ein Beamter, der anonym bleiben möchte.

Ob jemand auf Urlaub oder für einen Jihad-Einsatz in die Türkei aufbricht, ist ebenfalls schwer auszumachen. Manchmal prahlt jemand damit auf seinem Facebook-Profil, manchmal kommen Hinweise von ausländischen Geheimdiensten - in vielen Fällen jedoch bleibt es unerkannt.

Mehr als die Hälfte der österreichstämmigen Syrien-Kämpfer kommen aus der Kaukasus-Region und verfügen über einen gültigen Aufenthaltstitel in Österreich. Der Rest teilt sich auf bosnisch- und türkischstämmige Personen auf. Die Türkei spielt eine wesentliche Rolle für die islamistischen Netzwerke: Zum einen sind die Grenzen nach Syrien leicht passierbar, zum anderen erstarkt die umstrittene Millî-Görüs-Bewegung zunehmends. Auch in Österreich.

Gefährliche Rückkehrer

Vor allem die Heimkehrer sind gefürchtet. "Nach der Rückkehr aus dem Krisengebiet stellen die dort erlangten Kampferfahrungen, die traumatischen Erlebnisse und die damit einhergehenden Verhaltensänderungen sowie eine mögliche ausgereifte Radikalisierung ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Österreich dar", stellt der Verfassungsschutz fest.

Rückkehrer können und werden für Missionierungstätigkeiten sowie für die Gründung neuer radikaler Zentren verwendet. Neben der Möglichkeit eines Anschlags seitens ehemaliger Syrien-Kämpfer als "Lone Wolves" besteht die Gefahr organisierter terroristischer Anschläge. "Bereits wenige Entschlossene stellen eine Bedrohung dar", brachte es der EU-Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kechove auf den Punkt.

Doch Deradikalisierungsstrategien sind in Österreich noch nicht sehr ausgereift. Eine angekündigte Telefon-Hotline für Aussteiger und Angehörige ist immer wieder vertagt worden. Abgesehen davon, welchen Erfolg die Idee hätte - Islamismus-Experten in Deutschland kritisieren ein ähnliches Projekt -, fehlt es an zivilen Organisationen, die ein solches Aussteigerprogramm mit dem Ministerium betreuen könnten. Im Herbst soll es so weit sein. (Julia Herrnböck, Michael Simoner, DER STANDARD, 22.8.2014)