Wer sind "Terroristen"? Im Fall IS ist sich die Weltöffentlichkeit einig - doch künftig könnten Twitter und Co auch bei anderen Gruppen blockieren, befürchten Kritiker.

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Proteste nach der Ermordung eines jungen Schwarzen in der US-Stadt Ferguson: Dank Twitter wurden Fehler der Polizei protokolliert. Zwei Seiten einer Medaille?

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Mit viel Applaus reagierten eine Mehrheit an Nutzern und Medien auf Twitter und YouTubes Entscheidung, Material in Verbindung mit der Enthauptung des US-Fotografen James Foley zu bannen. Denn bei dem schockierenden Fotos und Videos handelte es sich um die neueste Social-Media-Kampagne der Terrorgruppe IS, die bereits seit Monaten soziale Netzwerke mit ihren Inhalten überschwemmt. Viele Nutzer waren der Ansicht, Twitter und Co hätten die IS-Propaganda schon viel früher eindämmen müssen, etwa als Material von Massakern an der Minderheit der Jesiden umgingen.

"Kurzsichtiger Jubel"

Doch jetzt werden Stimmen laut, die Twitters Schritt heftig kritisieren. Der Jubel über die strenge Reaktion der sozialen Netzwerke sei voreilig und kurzsichtig, heißt es etwa – denn tatsächlich handelt es sich um das erste Mal, das Twitter massiv in die geteilten Inhalte eingreife. So schreibt der US-Journalisten Glenn Greenwald, der maßgeblich an der Enthüllung des NSA-Skandals beteiligt war: "Hält man sich die Brutalität des Foley-Videos vor Augen, ist es leicht, den Bann zu bejubeln. (…) Aber so ist es mit Zensurmaßnahmen immer: Sie beginnt mit dem Unterdrücken von Meinungen, die unbeliebt sind.“

Welche Kriterien?

Auch der britische Technikjournalist James Bell stellt im Guardian die Frage, wo Twitters Verhalten hinführe. Denn bislang habe sich Twitter – durchaus zu Recht – als Domäne der freien Meinungsäußerung inszeniert. Jetzt werde der Kurznachrichtendienst zum "mutwilligen Zensor“, so Bell weiter. Dabei ist unklar, welche Kriterien für einen Bann ausschlaggebend seien: "Soll die US-Regierung (für die sozialen Netzwerke) definieren, wer 'Terroristen' sind?“, fragt etwa Greenwald auf TheIntercept.

Zweierlei Maß

Klar ist, dass Twitter und YouTube bereits bei Propagandamaterial der IS mit zweierlei Maß vorgingen: Denn Bildmaterial von Massakern an arabischen Christen, Schiiten, Jesiden und Kurden blieben fast immer abrufbar, ihr Teilen hatte für Nutzer keine Konsequenzen. Ebenso eindeutig ist aber auch, dass Twitter und Facebook für politische Dissidenten eine wichtige Rolle spielten: Etwa beim arabischen Frühling oder zuletzt bei den Demonstrationen in Ferguson, als die Polizei harsch gegen Aktivisten vorging - und Twitter-Nutzer das protokollierten und mit der Weltöffentlichkeit teilten.

Neutrale Plattform?

Ist die Aussage Facebooks, lediglich eine "neutrale Plattform“ bereitzustellen, also zu Unrecht kritisiert worden? Tatsächlich wird das Recht auf freie Meinungsäußerung in den USA besonders geschützt – so sehr, dass Bürgerrechtsaktivisten, wie Greenwald richtig analysiert, sogar Rassisten in Schutz nehmen, sollte ihnen ihr Recht auf Meinungsäußerung verboten werden.

Unterschiede USA/Europa

In (Kontinental-)Europa werden hingegen manche Inhalte von der Gesellschaft als verfolgungswürdig gesehen. In Österreich gibt es etwa die Tatbestände der Verhetzung oder NS-Wiederbetätigung, die von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als sinnvoll erachtet werden. Denn Institutionen wie Justiz, Politik und Medien wird grundlegend vertraut, den Missbrauch der Paragraphen zur Unterdrückung wichtiger, aber unbeliebter Meinungen zu verhinden.

Skepsis angebracht

Die Frage, ob global agierenden US-Konzernen in dieser Hinsicht genauso Vertrauen entgegen gebracht werden kann, ist also durchaus berechtigt. Denn der libertäre Geist bei YouTube und Facebook fand schon in der Vergangenheit seine Grenzen: Etwa bei Urheberrechtsverletzungen oder Pornographie. Dementsprechend ist Skepsis angebracht – eine optimale Lösung gibt es wohl nicht. Die IS-Terroristen haben nach der Sperre übrigens Unterschlupf gefunden, sie setzen nun auf dezentralisierte Medien. (fsc, derStandard.at, 21.8.2014)