Die Bilder zeigen eine Frau mit eingefallenen Wangen und wirren Haaren. Ihr Körper ist so ausgemergelt, dass sie sich beim Gehen auf Freunde stützen muss, als sie das Gefängnis verlässt. 14 Jahre lang ließ der indische Staat Irom Sharmila über eine Nasensonde zwangsernähren, damit sie sich nicht zu Tode hungert. Nun wurde die ostindische Widerstandsikone auf Geheiß eines Gerichts freigelassen - doch am Freitag war sie schon wieder in Haft.
In ihrer Heimat nennt man die Aktivistin auch die "Eiserne Lady von Manipur". Sharmila ist ein Dorn im Fleisch Indiens, das sich gerne als größte Demokratie der Welt sieht, aber die Schattenseiten lieber vergessen machen will.
Mit ihrem Hungerstreik protestiert sie seit 2000 gegen ein drakonisches Antiterrorgesetz, das Soldaten faktisch Straffreiheit und eine "Lizenz zum Töten" gibt. Damit will die Zentralregierung Separatisten niederhalten.
Hungerstreik soll weitergehen
Fast 5000 Tage hat Sharmila schon im Gefängnis verbracht. "Es ist schwer für mich zu glauben, dass ich nun frei bin", sagte sie nach ihrer Freilassung. Im gleichen Atemzug schwor sie, den Hungerstreik fortzusetzen. "Mein Kampf gegen Ungerechtigkeiten und Verbrechen der Armee in Manipur wird weitergehen."
Ihre Geschichte begann, nachdem in der Nähe ihres Heimatdorfes zehn Menschen, darunter zwei Kinder, erschossen wurden - von Soldaten, sagt sie. Doch die Täter gingen straffrei aus. Erzürnt beschloss Sharmila, erst wieder zu essen, wenn die Regierung das Gesetz revidiert. Sie folgt damit dem Pfad des indischen Freiheitshelden Mahatma Gandhi, der einst im Kampf gegen die britischen Kolonialherren auf gewaltlosen Widerstand und Hungerstreiks setzte.
Aus Angst, ihr Tod würde eine Märtyrerin schaffen und die Aufstände erst recht anfachen, klagte der Staat sie an, Suizid begehen zu wollen. Weil dies in Indien als Straftat gilt, wurde sie seitdem im Gefängniskrankenhaus von Manipurs Hauptstadt Imphal zwangsernährt. Mitte der Woche sah ein Gericht dennoch keinen Grund, sie weiter in Haft zu halten - im Gegensatz zur Polizei. Nach der Ankündigung, sie werde ihren Hungerstreik fortsetzen, nahm diese Sharmila am Freitag wieder fest.
Die Debatte um Indiens martialische Antiterrorgesetze ist dennoch neu befeuert: Nicht nur im mehrheitlich muslimischen Kaschmir, sondern auch in nordöstlichen Bundesstaaten wie Manipur kochen seit Jahrzehnten Aufstände gegen die Zentralregierung in Delhi. Statt Verhandlungen zu suchen, setzt Delhi da wie dort meist auf Militärgewalt. (Christine Möllhoff auf Neu-Delhi, DER STANDARD, 23.8.2014)