Es war eine Art Richtungsentscheidung. Auf der einen Seite stand eine resolute Frauenaktivistin, für Kollegen nicht immer angenehm, aber mit Mut zur Widerrede ausgestattet. Auf der anderen ein braver Gewerkschafter, der in zehn Jahren im Nationalrat kaum öffentliche Spuren hinterlassen hat. Sonnenklar, wen sich da eine Partei wie die SPÖ aussucht: natürlich den Mann aus dem unerschöpflichen Reservoir farbloser Funktionäre.

Nähmen die Sozialdemokraten ihre Statuten ernst, hätte die Wahl umgekehrt ausgehen müssen: Laut der eigenen Quotenregelung gebührt Sonja Ablinger das frei gewordene oberösterreichische Mandat im Nationalrat, nicht Walter Schopf. Doch das Ruhebedürfnis war offenbar stärker, auch in der Chefetage in Wien. Indem er das Ausbooten Ablingers tatkräftig nicht verhinderte, erwies der als Streitschlichter ausgeschwärmte Minister Josef Ostermayer seinem Chef Werner Faymann sicher einen Gefallen; dem Ansehen seiner Partei hingegen nicht.

An grauen Mäusen, die nach der Regierungspfeife tanzen, fehlt es dem roten Parlamentsklub beileibe nicht. Zwar ist Rebellion allein noch keine Tugend, doch Schlagzeilengier als Motiv kann man Ablinger schwer unterstellen. Die 48-Jährige geriet gerade deshalb mit der Parteilinie übers Kreuz, weil sie sozialdemokratische Haltungen streng auslegte: Mit ihrem Nein zu Fiskalpakt und harter Asylpolitik vertrat sie viele (potenzielle) SP-Wähler. Ein Comeback wäre ein starkes Signal gegen den Ruf der koalitionären Mandatare gewesen, Knechte der Parteidisziplin zu sein.

Mutlos sind auch die Rochaden im Führungsteam. Nichts gegen Gewerkschafter in der Regierung; die pauschale Verunglimpfung als Bremser ist insofern unfair, als auf SP-Seite traditionellen Blockadepositionen (Pensionen) viel Reformfreude (Bildung, Familien) gegenübersteht. Doch die Balance ist verlorengegangen, die rote Ministerriege ein personifiziertes Kernschichtenprogramm ohne Strahlkraft in neue Wählergruppen hinein. Was Faymann als Berechenbarkeit schätzt, formt nach außen allmählich das Antlitz einer Apparatschikpartei.

Dass sich der Regierungschef ohne Sensibilität für die Gewaltentrennung de facto auch die neue Nationalratspräsidentin aussuchen will, zeugt ebenfalls nicht von jener Offenheit, wie sie die Genossen anlässlich des geplanten neuen Parteiprogrammes beschwören. Im Gegenteil: Die SPÖ vermittelt das Bild einer geschlossenen Gesellschaft. (Gerald John, DER STANDARD, 23.8.2014)