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"Es geht nicht darum, die Menschen zu verbrauchen."

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Wien - Wir werden älter und wir werden weniger. Das Wachstum der Weltbevölkerung soll bereits Mitte dieses Jahrhunderts seinen Scheitelpunkt erreichen, in Europa steigt das Durchschnittsalter seit Jahren. Die Psychologin und Altersforscherin Ursula Staudinger von der Columbia University in New York sieht darin große Chancen, auch für den Arbeitsmarkt. Vor allem, weil die gewonnenen Jahre überwiegend gesunde Jahre seien: "Mitte der 1980er hatte ein 75-jähriger Mann noch 8,5 Jahre zu leben, davon verbrachte er die eine Hälfte gesund, die zweite in Krankheit. 2008 hingegen lagen vor einem Mann selben Alters noch 9,5 Jahre, zwei Drittel davon in Gesundheit."

Länger jung

"Biologisch gesehen entspricht ein heute 55-Jähriger einem 45-Jährigen der Generation davor", sagt die Expertin. Sie ist der Meinung, unsere Einstellung zum Arbeiten im Alter sei veraltet: "In der Wirtschaft gilt man ab 45 als älterer Arbeitnehmer, was wirklich absurd ist heutzutage. Die Vorstellungen von Personalverantwortlichen kommen scheinbar den tatsächlichen Vorgängen nicht hinterher." Es herrsche ein ungerechtfertigt negatives Altersbild vor. Zu oft seien Menschen mit Instrumenten wie Frühpension aus den Unternehmen gedrängt worden, anstatt lebenslanges Lernen zu forcieren, sagt Staudinger.

Motivation

Man solle sich endlich von der Vorstellung verabschieden, im Alter nicht mehr lernen zu können. Natürlich sei die passende didaktische Vorgehensweise für einen 60-Jährigen eine andere, als für einen Jugendlichen. Einem Erwachsenen müsse man viel deutlicher machen, warum er lernt, was er lernt. Auch, weil das Neue in Bezug zu dem bereits Gewussten gesetzt werden müsse. "Aber wenn wir gesund sind, können wir lernen, solange wir leben", sagt die Wissenschaftlerin. Es sei jedoch nicht das Ziel, uns vor der Zeit zu erschöpfen. "Es geht nicht darum, die Menschen zu verbrauchen, solange sie laufen, und zu kündigen, wenn wir sie nicht mehr brauchen." Das eine ist die Verteilung der Arbeit, das andere die Abwechslung in der Arbeit: "Wir wissen aus Studien, dass es für den Menschen wichtig ist, nicht tagein tagaus das Gleiche zu machen. Das nutzt den Körper ab, wenn es körperliche Arbeit ist, und es nutzt unser Hirn ab, wenn es geistige Arbeit ist." Vor allem bei burnoutbelasteten Berufen im Pflegebereich oder bei Lkw-Fahrern sei diese Abwechslung wichtig.

Weiterqualifizierung zählt

Das Team rund um Staudinger hatte für eine Studie die Arbeitsabläufe von Bandarbeitern in einem Automobilunternehmen verändert, sodass deren Tätigkeit am Fließband abwechslungsreicher wurde. Das Ergebnis war höheres Wohlbefinden, sowie höhere körperliche und geistige Gesundheit der Arbeiter. Es gehe nicht immer darum, sich nach oben zu qualifizieren, sonder um Weiterqualifizierung. Auch hat die Forscherin Frühpensionisten befragt: Anfangs waren die meisten froh darüber, im Ruhestand zu sein. Doch nach einem Jahr wollten 85 Prozent zurück, um zumindest teilweise zu arbeiten. "Die Menschen vermissen Struktur, soziale Kontakte außerhalb der Familie", so Staudinger. Zu oft hätten sie das Gefühl, nach der Pensionierung unsichtbar zu sein.(Sonja Spitzer, DER STANDARD, 23.8.2014)