Wer sich mit der Birne beschäftigt, muss über Generationen vorausdenken“, sagt Karl Hauer. Bei ihm in der Mostviertler Gemeinde Ardagger stehen haushohe Bäume, derzeit voll mit reifen Früchten. Im Gras stehen Körbe und Kisten, randvoll mit den gepflückten Birnen, die nicht zum Essen, sondern Pressen sind. "Mein ältester Baum ist 350 Jahre alt", schätzt Hauer, der als Brennmeister in seinem historischen Vierkanthof an die 60 Sorten Most und Edelbrände herstellt - aus der Rotpichl-, der Landl-, der Schmotz-, der Speck- und der Kletzenbirne. "Sie brauchen 60 Jahre, ehe sie tragen", sagt er. Hartes Holz, dafür kann man 200 Jahre lang Obst pflücken.
Der Most hat die Häuser gebaut
Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam man im Mostviertel fürs Abholzen mehr als für die Frucht. Der Bestand sei dramatisch zurückgegangen, erzählt Hauer. Erst mit dem neuen Millennium wandelte sich auch das Bewusstsein. "Der Most hat die Häuser gebaut", heißt ein alter Spruch, nach und nach besannen sich die Mostviertler wieder dessen, was die Region einmal reich gemacht hatte.
Hartes Holz, harte Köpfe. In der Stadt galten die Leute aus dem Mostviertel als ein besonderer Menschenschlag, starke Charaktere, Dickköpfe, doch experimentierfreudiger als anderswo. Es hat Jahre gedauert, ehe das Thema die Mostviertler verband. Doch heute ist jedes dritte Wort "Region", jedes zweite ist "Birne".
Omnipräsentes Obst
Auf der 200 Kilometer langen Moststraße kann man den Wegweisern zum Vergorenen folgen, zum Mostheurigen, auf Mostwanderwegen und Mostradwegen und zum Mostbirnhaus in Stift Ardagger, wo man die Welt der Birne museal in Theorie und Praxis erklärt bekommt. Überhaupt ist die Birne allgegenwärtig - als überdimensionales Exemplar auf Kreisverkehren und als Dekor auf Teppichen im Hotel.
Most ist kein landwirtschaftliches Produkt mehr, sondern ein touristisches, könnte man meinen. "Optisch geht der Tourismus bei uns aber noch immer unter", sagt Andreas Purt von Mostviertel Tourismus. Die Gegend gilt als strukturschwach und verfügt über gerade einmal 12.000 Gästebetten. Man wolle aber ohnehin keinen Massentourismus, sondern Gäste, die sich für die Region interessieren - und vielleicht sogar für die mehr als 300 Mostbirnensorten in: Birnbränden, -likören, -säften, -essigen und -ölen, im Mostbirnkäse und im Mostbirnweckerl, für das der Teig mit Most gesäuert wird.
Dirndl im Schatten der Birne
Das Pielachtal ist kein klassisches Mostgebiet, doch in Rabenstein steht ein hoher dickstämmiger Birnbaum im Garten des Landwirts und Hoteliers Johannes Weiß, von allen Hans genannt. Die Krone ist über den Dachfirst hinausgewachsen, unter dem Schattendach stehen eine Holzbank, ein Tisch, Holzscheite und ein Dirndl-, sprich: ein für die Gegend typischer Kornelkirschenstrauch.
Rund 2.500 Pflanzenarten gedeihen im Kräutergarten. Für seine Gäste hat Hans den Botaniker Georg engagiert, der sehr gemächliche Führungen durch den Garten macht. Seit er da sei, gebe es eine neue Geschwindigkeitseinheit: "Ein Georg sind zwanzig Meter pro Stunde", erklärt Hans.
Man konnte nie untergehen
Der Hotelier, der eigentlich Mathematiker ist, sitzt nicht gern. Er geht, während er spricht, rastlos auf und ab, die Hände am Latz seiner Lederhose. Früher hatte man ein Pferd, Hühner, Schweine und Hunde, Wiesen, Klee, Weizen und Gerste. Die Landwirtschaft funktionierte auf der Basis von Selbstversorgung. Man konnte nie untergehen, aber auch keine großen Sprünge machen.
Aus dem früheren Bauernhof entstand das Hotel Steinschalerhof, wo seit 2008 auch die Mostviertler Nachhaltigkeitskonferenz abgehalten wird - eine Veranstaltungsreihe, die zum Querdenken bei der Regionalentwicklung verleitet und heuer am 22. und 23. September zum siebenten Mal stattfindet. "Wir müssen die natürlichen Ressourcen unseren Enkeln in einem besseren Zustand übergeben, als wir sie vorgefunden haben", sagt Hans. Natürlich gelte das vor allem für den Birnbaum, den Generationenbaum. (Beate Schümann, Album, DER STANDARD, 23.08.2014)