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Das ukrainische Militär zeigte in Slawjansk (Ostukraine) Präsenz beim Unabhängigkeitstag am Sonntag.

Foto: EPA/Roman Pilipey

STANDARD: Die Fronten in der Ukraine sind verhärtet. Wo sehen Sie Kompromisslinien zwischen Moskau und Kiew?

Nünlist: Zurzeit zeichnet sich keine politische Lösung ab, die beiden Seiten einen gesichtswahrenden Ausweg erlaubt. Kiew und der Westen beharren auf der Rückgabe der Krim und der territorialen Integrität der Ukraine; Russland möchte eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine verhindern.

STANDARD: Die Vorgangsweise der EU in Kiew ist umstritten. Hat Brüssel die Situation angeheizt?

Nünlist: Die EU hat auf jeden Fall 2013 komplett unterschätzt, wie wichtig die Ukraine für Putins geostrategische Vision eines von Russland dominierten Eurasiens ist: so wichtig, dass er dafür einen Krieg riskiert, wozu der Westen nicht bereit ist. Längerfristig dürfte Putin mit seinem Vorgehen zwar die Krim gewonnen, aber den Westen der Ukraine verloren haben - womöglich sogar den Osten. Denn Ende Mai stimmten ja auch die Ostukrainer mehrheitlich für den proeuropäischen Präsidenten Petro Poroschenko.

STANDARD: Wie könnte eine Lösung im Gasstreit aussehen?

Nünlist: Die Streitpunkte Gaspreis, ausstehende Schulden seit April und die ukrainische Infrastruktur auf der Krim erschweren eine Einigung. Russland sitzt am längeren Hebel und kann für einen kurzfristigen Deal zuwarten, bis der Winter näherkommt. Trotz Gaslieferungen aus der Slowakei ab September fehlen der Ukraine bis Ende des Jahres rund vier bis sieben Milliarden Kubikmeter Gas. Die EU könnte der Ukraine helfen, ihre Gasschulden von 1,95 Milliarden Dollar zu begleichen, aber Moskau wird den Energiehebel nur ungern aus der Hand geben. Der langfristige Gaspreis könnte theoretisch mit Kompensationen für den Verlust der Krim unter dem Titel Land für Gas verrechnet werden, aber aufgrund der heiklen Statusfrage der Krim scheint das nicht realistisch.

STANDARD: Die Schweiz hat den OSZE-Vorsitz inne. Mit welchen Akzenten der Organisation rechnen Sie im Ukraine-Konflikt?

Nünlist: Dank Beobachter-, Militärtransparenz-, Wahlbeobachtungs- sowie Grenzbeobachtungsmissionen erwies sich die OSZE als einzige nützliche Sicherheitsorganisation. Im Moment scheint jedoch keine politische Lösung möglich. Die OSZE wird später dank der guten Kontakte vor Ort sicher wieder eine Rolle spielen.

STANDARD: Die Schweiz wurde für ihre Haltung kritisiert, da Sanktionen der EU und USA umgangen werden können. Wie sehen Sie das?

Nünlist: Die Schweiz trägt de facto die meisten westlichen Sanktionen mit, da sie Umgehungsgeschäfte vermeiden will. Einen ähnlichen Kurs fuhr die Schweiz auch lange im Streit um das iranische Atomprogramm, bei dem sie aus Rücksichtnahme auf ihre guten Dienste für die USA und Iran die westlichen Sanktionen zunächst nicht übernahm.

STANDARD: Der Vorwurf lautet, dass sich die Schweiz aus wirtschaftlichen Interessen, insbesondere im Sinne der Banken, zurückhält.

Nünlist: Ich glaube nicht, dass die Schweiz Milch- oder Gemüseexporte ankurbeln will, das Niveau ist dafür zu bescheiden. Kriegsmaterialausfuhren hat die Schweiz gestoppt. Die international tätigen Schweizer Banken können es sich gar nicht leisten, EU- oder US-Sanktionen zu missachten. Der Rückgang der Ausfuhren nach Russland um 17 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres zeigt, dass Schweizer Unternehmen keinen Nutzen aus der Situation schlagen. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 26.8.2014)