Kiew/Mariupol - In der Nacht auf Montag sind laut ukrainischen Angaben einmal mehr Militärfahrzeuge von Russland aus in die Ukraine eingedrungen - unweit von Nowoasowsk kam es zu Kämpfen. Gleichzeitig verbreiteten vor allem russische Medien Gerüchte, dass ein Angriff auf die 500.000 Einwohner-Stadt Mariupol bevorstehen könnte. Beobachter sehen einen Zusammenhang mit den Dienstag geplanten Verhandlungen in Minsk.

Auch wenn das offizielle Russland dies bisher stets dementierte - Vertreter der ukrainischen Regierung hatten in den vergangenen Wochen nahezu täglich versichert, dass von russischem Territorium aus Positionen der ukrainischen Armee mit Artillerie beschossen werde und auch dass Militärgerät in großer Zahl illegal die russisch-ukrainische Grenze überquere.

Panzer weit von Rebellen entfernt

Nichtsdestotrotz war am Montag eine offizielle Erklärung in Kiew außergewöhnlich. Oberst Andrej Lysenko, der Sprecher des Nationalen Rats für Sicherheit und Verteidigung (RNBO) hatte in seinem Pressebriefing vermeldet, dass zehn Panzer, zwei Radpanzer und zwei Ural-Mannschaftstransporter die ukrainische-russische Grenze nordöstlich der Stadt Nowoasowsk überquert hätten. Diese Kolonne mit Symbolik der sogenannten "Donezker Volksrepublik" (DNR) sei schließlich, so verkündete Lysenko, in den frühen Morgenstunden unweit des Dorfes Schtscherbak (13 Kilometer nordöstlich von Nowoasowsk, Anm.) "vernichtet" worden.

Doch nicht die brutale Wortwahl oder das beschriebene Faktum ließ aufhorchen - die Besonderheit lag vielmehr am Ort des Geschehens. Die an Russland grenzende Kleinstadt Nowoasowsk am Asowschen Meer befindet sich im südöstlichsten Teil der Oblast Donezk. Jene Territorien, die derzeit von Aufständischen kontrolliert werden, sind mehr als 80 Kilometer davon entfernt."Russische Kräfte, die als Freischärler aus dem Donbass auftreten, versuchen ein Gebiet für eine bewaffnete Auseinandersetzung zu organisieren", erklärte Oberst Lysenko.

Zusammenhang mit Putin-Treffen

Sollte von Nowoasowsk aus tatsächlich eine neue Front eröffnet werden, ist das militärische Ziel dieser Bemühungen das strategisch wichtige ukrainische Ufer des Asowschen Meer und insbesondere Mariupol. Die 500.000-Einwohnerstadt war Mitte Juni von ukrainischen Verbänden zurückerobert worden und gilt als wichtiges politisches Symbol: Der von Kiew ernannte Gouverneur Serhij Taruta und die ukrainische Lokalverwaltung residieren nach ihrer Vertreibung aus der Regionalhauptstadt Donezk in dieser zweitgrößten Stadt der Region Donezk. Lysenko beteuerte, dass Mariupol sicher sei.

Beobachter in der Ukraine sehen in der Attacke weniger den Versuch von Rebellen, mit großem Aufwand neue Gebiet im Oblast Donezk zu erobern. Sie betonen vielmehr einen Zusammenhang mit Verhandlungen in Minsk, an denen am Dienstag neben der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und Vertretern der EU-Kommission auch Russlands Präsident Wladimir Putin sowie der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko teilnehmen sollen.

Russischer Spin

In einem Wettstreit hätten Moskau, Kiew und auch die Separatisten in Donezk in den vergangenen Tagen viel unternommen, um ihre Positionen bei den Verhandlungen in Minsk zu stärken, erklärt gegenüber der APA Dmitrj Galkin, Experte für ukrainische Politik und Vizechefredakteur des Kiewer Magazins "Foreign Affairs Chronicles". Deshalb sei es für Moskau derart wichtig gewesen, den "humanitären Konvoi" ans Ziel zu bringen und für Kiew besetzte Ort zu stürmen, sagt Galkin: "Aus diesem Grund organisierten die Separatisten einen Gegenattacke auf Mariupol und drohen mit einer Revanche im Süden der Oblast Donezk. Womöglich imitieren sie diese Bedrohung jedoch auch nur."

Eine mediale Vorgeschichte des realen Angriffs von Montagfrüh scheint den Eindruck einer Spinoperation zu bestätigen. Russische Medien und insbesondere das Kreml-nahe Portal lifenews.ru hatten am Wochenende davon berichtet, dass die dreißig Kilometer nördlich von Nowoasowsk gelegenen Kleinstadt Telmanowe von Rebellen erobert worden wäre und das eine Rückeroberung von Mariupol unmittelbar bevorstehe.

In lokalen Medien und in sozialen Netzwerken wäre davon jedoch keine Rede gewesen und er habe am Sonntag im Stadtzentrum auch keine panischen Stimmungen bemerkt, erklärt ein derzeit in Mariupol lebender Geisteswissenschafter aus Donezk gegenüber der APA. "Ich denke, dass sowohl die Attacke selbst als auch die zuvor verbreiteten Falschinformation ein Teil der Gespräche in Minsk sind", sagt auch der Akademiker. Sein Namen kann aus Rücksicht auf Angehörige im Gebiet der "Donezker Volksrepublik" nicht genannt werden. (APA, 26.8.2014)