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Daniel Barenboim dirigiert das Neujahrskonzert 2014, und der Klang der Orchestermusik verbreitet sich im Konzertsaal. Wer ein Soundsystem auf Basis von Wellenfeldsynthese besitzt, wird Musik auch über Lautsprecher mit nahezu idealer Akustik hören können.

Foto: APA/Neubauer

STANDARD: Ihre Forschung widmet sich dem perfekten Klang - was verstehen Sie darunter?

Brandenburg: Das ist gar keine so einfache Frage. Seit Menschen damit begonnen haben, Schall aufzuzeichnen, war es ihr Ziel, ihn so wiederzugeben, als wäre man woanders, als würde sich eine Person an einer bestimmten Stelle im Raum befinden oder als säße man in einem Konzertsaal. Letztendlich geht es darum, die perfekte Illusion zu schaffen.

STANDARD: Was braucht man dafür?

Brandenburg: In der Hi-Fi-Szene gibt es ja verschiedene Mythen: Dass mindestens 40 kHz Bandbreite nötig sind, teure Kabel den Klang verbessern oder mit grünen Stiften die Wiedergabe von CDs optimiert wird. Dabei spielt unser Gehirn eine riesengroße Rolle bei dem, was wir zu hören meinen. Wenn mir jemand erzählt, er habe ein tolles Kabel für zweitausend Euro gekauft, und jetzt klinge alles so viel besser - dann kann ich und will ich nicht sagen, dass das nicht stimmt. Subjektiv klingt es tatsächlich besser, weil die Erwartung den Klang massiv verbessert. Das hat eine gewisse Verwandtschaft mit den Placeboeffekten aus der Medizin. Man sollte dann besser keinen Test machen, weil man sonst herausfindet, dass das Kabel für zwei Euro vielleicht genauso gut klingt.

STANDARD: Lässt sich dann überhaupt objektiv messen, ob eine bestimmte Technik für eine bessere Akustik sorgt?

Brandenburg: Testmethoden sind bis heute ein wichtiges Forschungsthema. Wenn es um die Frage geht, ob ein hörbarer Unterschied zwischen einem Signal und einer Referenz besteht, ist sie noch relativ einfach zu beantworten. So haben wir damals die MP3-Codierung getestet: Die Aufgabe war, diese Komprimierungsformate exakt so klingen zu lassen wie das Original mit all seinen Unvollkommenheiten - das lässt sich technisch sehr gut überprüfen. Es wird aber sehr viel schwieriger, wenn es um den Klang im Raum und die Frage der Illusion geht.

STANDARD: Braucht man für diese Tests also doch Menschen?

Brandenburg: Wir haben über die Jahrzehnte an Methoden gearbeitet, um das möglichst gut vorhersagen zu können, aber wir wissen auch um deren Grenzen. Für die Frage, ob es wirklich gut klingt, braucht es letztlich immer Menschen als Testpersonen, es braucht trainierte Hörer. Denn bei vielen Effekten lernen wir erst mit der Zeit, sie richtig zu hören. Hier spielt auch das Alter eine Rolle: Zwar werden bestimmte Klänge, gerade die hohen, von jungen Menschen eher wahrgenommen, andere Töne können dagegen Ältere besser hören.

STANDARD: Warum hören ältere Menschen manches also anders als junge?

Brandenburg: Die Erfahrung spielt eine große Rolle. Mit ihr macht man sehr viel von dem wett, was so allmählich an Hörfähigkeit verlorengeht. Aber es ist klar: Ich bin 60. In meinem Alter funktioniert das Gehör insgesamt nicht mehr so gut wie bei einem jungen Menschen. Doch auch der Raum, in dem wir uns befinden, beeinflusst die Hörwahrnehmung.

STANDARD: Inwiefern?

Brandenburg: Wir hören zwar mit den Ohren, das ist der physische Teil, der sogar größtenteils einfach mit Mechanik erklärt werden kann. Doch die eingehenden Signale werden dann im Gehirn weiterverarbeitet. Und dort beginnen die großen Unbekannten, an die wir uns erst langsam herantasten. Es gibt klar belegte Versuche, dass das, was ich höre, sich je nachdem, in welchem Raum ich bin, unterscheidet - obwohl ich mit geschlossenen Kopfhörern denselben Klang höre: einerseits weil sich die Ohren vorher auf den Raum, auf die Raumgröße und seine akustischen Eigenschaften grob eingehört haben, aber auch weil wir sehen, wo wir uns befinden.

STANDARD: Das würde bedeuten, dass unsere Augen mithören?

Brandenburg: Ja, das lässt sich mit einem simplen Video-Experiment sehr schön zeigen: Da spricht jemand einfache Silben - wenn man zusieht, hört man "da-da". Schließt man die Augen und spielt dasselbe noch einmal ab, wird daraus plötzlich "ba-ba". Das liegt daran, dass Ton und Bild getrennt aufgenommen wurden, die Mundbewegungen formen eigentlich die Silben "ga-ga". Unser Gehirn ist verwirrt und macht eine dritte Silbe daraus. Dieser sogenannte McGurk-Effekt ist der einfache Beweis dafür, dass unsere visuelle Wahrnehmung großen Einfluss darauf hat, was wir hören.

STANDARD: Ist das der Grund, warum Blinde anders hören als sehende Menschen?

Brandenburg: Blinde hören nicht prinzipiell anders, sie nehmen aber viel mehr Geräusche bewusst wahr als sehende Menschen. Manche können allein durch den Klang den Grundriss eines Raums aufzeichnen. Viele können auf eine Wand zulaufen und vor ihr stehen bleiben, weil sie anhand der Reflexionen der eigenen Schritte die Entfernung abschätzen können. Sehende können das auch, sie müssen es aber trainieren, um es ins Bewusstsein zu rufen. Populär gesagt: Wir sind Fledermäusen ähnlicher, als uns eigentlich bewusst ist.

STANDARD: Angesichts all der Faktoren, die für die Hörwahrnehmung eine Rolle spielen: Lassen sich mit Lautsprechern überhaupt Illusionen schaffen?

Brandenburg: Natürlich können wir uns immer nur annähern. Aber eine sehr vielversprechende Methode ist die Wellenfeldsynthese: Die Grundidee ist dabei, mittels vieler einzelner Lautsprecher, die in einer Reihe montiert sind, physikalisch das Wellenfeld der Schallwellen im Raum zu rekonstruieren. Es gibt dabei zwar noch eine ganze Menge theoretischer Probleme, in der Praxis funktioniert das aber inzwischen so gut, dass man baff ist, wenn man es zum ersten Mal hört.

STANDARD: Worin besteht der Unterschied zu Surround-Anlagen?

Brandenburg: Gerade bei den klassischen Surround-Anlagen muss ich an einem Punkt in der Mitte sein, sonst funktioniert es nicht. Wenn ich mich bewege und in die Richtung eines Lautsprechers gehe, dann geht das Gefühl, in einem anderen Raum zu sein, sofort verloren. Mit der Wellenfeldsynthese ist es möglich, ebendiese Illusion zu erzeugen, selbst wenn ich mich bewege. Da hat man wirklich das Gefühl, dass der Schall von einem bestimmten Punkt im Raum kommt - das geht so weit, dass ich jemandem virtuelle Schallquellen auf den Kopf setzen kann. Allerdings klappt das nicht in jedem Raum. Er sollte möglichst trocken sein und möglichst wenig eigene Schallatmosphäre haben.

STANDARD: Wird das bereits angewendet?

Brandenburg: Ja, ich schätze, zwischen fünfzig und hundert solcher Systeme sind in der Welt schon vorhanden. Einzelne Kinos sind damit ausgestattet, aber auch einige Planetarien und Museen. Und solche Systeme sind auch im Einsatz, um Schall zu simulieren - zum Beispiel für die Konstruktion im Maschinenbau. Es gibt auch einen Pkw, den wir damit ausgestattet haben.

STANDARD: Wozu braucht man so etwas in einem Auto?

Brandenburg: Man könnte damit beispielsweise Einparkhilfen verbessern. Anstatt lediglich die Entfernung zu einem Hindernis durch ein schneller werdendes Piepsen anzuzeigen, könnte man ein Signal einspielen, dass tatsächlich aus der Parkzone zu kommen scheint. Es wären auch getrennte Schallzonen möglich - hier gibt es aber Grenzen. Wenn der eine Hardrock hört und der andere ein Streichquartett, wird sich das immer ein bisschen überlagern. Insofern muss man aufpassen, was da versprochen wird. Gegenüber dem, was noch vor wenigen Jahren möglich erschien, gibt es aber deutliche Fortschritte. (Wolfgang Däuble, DER STANDARD, 27.8.2014)