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Die meisten Übergänge zwischen der Türkei und Syrien sind geschlossen. Jihadisten und neue Rekruten aus Europa wechselten zumindest bis vor kurzem aber weiter ungehindert zwischen beiden Ländern.

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Ankara/Sofia - Als der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien in sein zweites Jahr ging, machte Tayyip Erdogan eine mutige Ansage: Berichte über Islamisten in Syrien seien "Unsinn", beschied er einem türkischen Journalisten Ende 2012. "Es wird dort nichts wie Al-Kaida geben, sobald die Opposition zu einer Einigung kommt."

Lange taten die türkische Regierung und ihr Premierminister Erdogan, der nun sein neues Amt als Staatspräsident antritt, muslimische Terrorgruppen als Propaganda des syrischen Regimes ab. Selbst als der Al-Kaida-Ableger Islamischer Staat (IS) vergangenen Juni den türkischen Konsul in Mossul und 48 weitere türkische Staatsangehörige als Geiseln nahm, vermied Erdogans Außenminister und künftiger Premier Ahmet Davutoglu sorgfältig den Begriff "Terroristen". Aus Rücksicht auf die Verhandlungen über eine Freilassung der Entführten - sie sind immer noch in der Hand der Islamisten; aber wohl auch aus Widerwillen, die Fehleinschätzung über die Terroristen einzugestehen.

Hotels als Anlaufstationen

Mittlerweile hat die türkische Armee eigenen Angaben zufolge begonnen, vier Meter tiefe Gräben an der Grenze nahe der Stadt Kilis im Südosten zu ziehen, der mutmaßlich wichtigsten Durchgangsstation für islamistische Kämpfer aus der EU, Türkei und den arabischen Ländern ins Kriegsgebiet nach Syrien und dem Irak. "24 Stunden Bewachung" des Grenzabschnitts gelten den türkischen Sicherheitsbehörden nun als vermeldenswerte Neuerung. Die meisten Grenzübergänge sind mittlerweile geschlossen.

Dabei gibt es wenigstens seit Ende 2012 keinen Mangel an Hinweisen über den Terrortransit durch die Türkei. Das "Alice Hotel" oder das "Kent Hotel" in Reyhanli, einem anderen türkischen Grenzstädtchen, zum Beispiel galten als Anlaufstationen für ausländische Muslime, die sich dem "Glaubenskampf" verschrieben hatten.

Transit in beide Richtungen

Der Transit läuft keineswegs nur in eine Richtung: Noch an einem frühen Morgen im vergangenen März sollen rund 150 IS-Kämpfer aus Syrien über die Grenze in die Türkei gewechselt sein. Sie wurden in Bussen zum Kent Hotel gebracht, so soll es in einem alarmierenden Bericht des Gouverneurs der Provinz Hatay an das Innenministerium in Ankara gestanden haben.

Reyhanli, Kilis oder Antakya, die Hauptstadt der Provinz Hatay, wimmeln von Geheimdienstleuten aus Europa und den USA. Sie trugen zusammen, was die Regierung in Ankara scheinbar nicht wahr haben wollte: Die Türkei dient den Islamisten als Rückzugsraum, Planungszentrum, Versorgungsstation, Gebiet zur Zwangsrekrutierung junger Türken, Absatzmarkt für Treibstoff, den die Jihadisten etwa aus der nordsyrischen Ölstadt Rimelan zeitweise abzweigten; 60.000 Fass weiterverarbeitetes Erdöl sollen sie am Tag über die Grenze in die Türkei geschmuggelt haben. Als Erdogan, Davutoglu und der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan im Mai 2013 bei einem Essen im Weißen Haus mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurden, zeigten sie sich empört.

Spätes Eingeständnis

Knapp ein Jahr dauerte es, bis Tacan Ildem, der türkischer Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien, einräumte, dass der Terroranschlag in der Grenzstadt Reyhanli vom Mai 2013 das Werk von "Al-Kaida-Elementen" war, die aus Syrien operierten; 52 Menschen starben damals bei der Explosion von Autobomben, 142 wurden verletzt. Erdogan und Davutoglu machten den syrischen Geheimdienst verantwortlich.

Ankaras Fehler: Für den Sturz von Bashar al-Assad in Syrien seien der türkischen Führung alle Mittel recht gewesen, so lautet die Einschätzung ausländischer Beobachter - auch die Tolerierung von Islamisten. Noch vor zwei Monaten, nach der Entführung der Türken in Mossul durch IS-Terroristen, erneuerte Sali Muslim, der Kurdenführer in Nordsyrien, alte Vorwürfe: Die Türkei helfe weiter den Kämpfern des Islamischen Staat, nur um die Kurden am Boden zu halten. (Markus Bernath, DER STANDARD, 27.8.2014)