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Der neue Chef der türkischen Regierungspartei AKP und künftige Premier Ahmet Davutoglu und seine Frau Sare, eine praktizierende Gynäkologin, grüßen den Parteitag in Ankara.

Foto: Reuters/Bektas

Ankara/Sofia - Der Neue ist ganz wie der Alte, scheint es. Zehn Minuten lang schickt Ahmet Davutoglu von der Rednerbühne aus Grüße an ein imaginäres Publikum, das ihm nun lauschen soll: in allen kleinen und großen Städten der Türkei, im Kaukasus, im zentralasiatischen Altai-Gebirge, dem mythischen Ursprungsort der Türken, in "Mesopotamien", wie der Politikprofessor Davutoglu den Irak nennt. Tayyip Erdogan, der türkische Premier, der nun Präsident geworden ist, macht das bei jeder Wahlkampfrede so. Davutoglu folgt ihm nach.

Bei einem Sonderparteitag der konservativ-islamischen AKP in Ankara ist der 56-jährige bisherige Außenminister zum neuen Vorsitzenden gewählt worden. 1382 Delegierte stimmten für ihn, sechs gaben ungültige Karten ab. Wenig später sollte er Erdogan auch im Amt des Premierministers nachfolgen. Nach elf Jahren als Regierungschef und 13 Jahren als Vorsitzender der Partei, die er gegründet hat, lässt sich Erdogan am Donnerstag als Staatspräsident der Türkei angeloben.

Schwitzen, fächeln, jubeln

"Es ist vorbei, es ist vorbei", raunen die Kommentatoren der türkischen Nachrichtensender ergriffen ins Mikrofon, als Erdogan seine letzte Rede als AKP-Vorsitzender beendet und sein Sakko wieder anzieht. Es ist heiß in der Sportarena von Ankara, die Klimaanlagen haben versagt, 40.000 schwitzen, fächeln, jubeln in Sprechchören ihrem Führer zu, zerdrücken Tränen über seinen Abschied. "Die AKP ist nicht nur eine türkische Partei, sie ist eine Weltpartei", ruft Erdogan während seiner Rede. Es sieht nicht so aus, als ob seine Zeit als Vorsitzender jemals vorbei wäre. Er werde ein parteiischer Präsident sein, hatte Erdogan schon vor der Wahl angekündigt.

In der Sportarena von Ankara greift er vor allem die türkische Justiz an. Unterstützer des Predigers Fethullah Gülen säßen dort, erklärt Erdogan, ohne den Namen seines früheren mächtigen Partners zu nennen. Der traditionellen Feier zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahres nach der Sommerpause wird der neue Staatschef fernbleiben. Er kann den Präsidenten der Anwaltskammern nicht ausstehen, einen offenen Kritiker von Erdogans autoritären Regierungsstil; die Regierung des neuen Premiers Davutoglu wird ebenfalls dem Festakt fernbleiben: Die Exekutive liegt im Clinch mit der Judikative.

Twittern gegen Gül

Auch Ahmet Davutoglu legt gegen die Gülen-Bewegung los. Die Korruptionsermittlungen gegen die Regierung und ihr nahestehende Geschäftsmänner vom Dezember vergangenen Jahres haben Erdogan und seine Gefolgsleute als Putschversuch bezeichnet und abgewürgt.

Abdullah Gül, der stets freundliche, moderierende Staatspräsident aus den Reihen der AKP, ist das prominenteste Opfer dieses Abwehrkampfs geworden, so stellt sich nun heraus. Seine halb kritischen Worte gegen die Gängelung von Justiz und Medien haben ihm die Rückkehr in die Tagespolitik verbaut. Eine Schmutzkampagne von Twitterschreibern, die im Premiersamt sitzen sollen, verletzte ihn persönlich. Bis zuletzt hatte Gül mit der Idee geflirtet, er könnte nach dem Ende seiner Amtszeit am Donnerstag den Vorsitz der Partei übernehmen und, nach der nächsten Parlamentswahl im Sommer 2015 mit einem Mandat ausgestattet, auch wieder Regierungschef werden wie 2002. Erdogan entschied anders. Er wählte seinen Außenminister. Davutoglu sei kein Mann für den Übergang, keine Interimsfigur, machte Erdogan am Mittwoch dem Parteitag und der Öffentlichkeit klar.

"Neue große Türkei"

Wie groß aber der Graben zwischen den knapp 52 Prozent der türkischen Wähler ist, die bei den Präsidentenwahlen Anfang August Erdogan ihre Stimme gaben, und den 48 Prozent Andersdenkenden, zeigt sich an der Person von Davutoglu: Die Regierungspresse lobte die intellektuelle Ausstrahlung Davutoglus und seine Fähigkeit zur "harmonischen Zusammenarbeit mit einem Präsidenten Erdogan; seriöse regierungskritische Kommentatoren schrieben über die "bizarre Fantasiewelt" in Davutoglus Kopf. Was die einen als Fehlschlag einer pan-islamischen Außenpolitik Davutoglus sehen, feiern die anderen als großen Erfolg. Davutoglu selbst pries in seiner Parteitagsrede Erdogans "neue große Türkei": "Jene, die diesen Traum nicht sehen, die nicht auf die Beine springen, sollen sich schämen." (Markus Bernath, DER STANDARD, 28.8.2014)