An manchen Stellen kickst sie wie ein Teenager im Stimmbruch, an anderen braust sie auf wie zorniger Wind. Oft gluckst sie in fröhlichen Tönen, als wollte sie mit dem Gesang der Vögel konkurrieren. Im Wald murmelt sie nur ein leises Mantra in die Farne. Die Levada hat ein unerschöpfliches Repertoire an Tönen. "Wenn ihr ganz ruhig seid, könnt ihr die Lieder der Levada hören", sagt Christa Dornfeld-Bretterbauer. Schweigend stiefeln die Wanderer auf dem schmalen Pfad hinter der Österreicherin her und lauschen der Musik des Rinnsals.

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Die Levada hat ein unerschöpfliches Repertoire an Tönen. Im Wald murmelt sie nur ein leises Mantra in die Farne.

Auf der portugiesischen Insel Madeira gibt das Wasser den Ton an. Nicht das Meer, sondern das Regenwasser. Es wird in Höhen von bis zu 1.800 Metern über dem Meeresspiegel aufgefangen, in Reservoirs gesammelt und fließt durch ein ausgeklügeltes Netz von Steinrinnen - die Levadas. Rund 1.300 registrierte Wasserwege strömen, plätschern, gurgeln über die Insel, die mit 740 Quadratkilometern nicht einmal doppelt so groß ist Wien. Schon im 15. Jahrhundert hatten Einheimische die Idee, auf diese Weise Süßwasser aus dem feuchten Norden in den trockeneren Süden zu lenken.

Die schmalen Pfade entlang der Levadas werden mit einigem Aufwand instand gehalten und haben sich zu beliebten Wanderwegen entwickelt. Sie sind ohne Zweifel mitverantwortlich dafür, dass Madeira nun schon zum zweiten Mal in Folge bei den World Travel Awards 2014 - eine Art "Oscar-Verleihung" für die Reisebranche - zu "Europas bester Inseldestination" gekürt wurde.

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Auf Madeira gibt das Wasser den Ton an - nicht das Meer, sondern das Regenwasser. Es wird in Höhen von bis zu 1.800 Metern über dem Meeresspiegel aufgefangen.

Das Terrain, durch das die Kanäle führen, wechselt rasch: Gerade noch glitzerte unten in der Schlucht eine türkisfarbene Lagune, schon kommt man an einem rauschenden Wasserfall im dichten Wald vorbei oder tastet sich durch einen dunklen Tunnel. Für solche Fälle hat Christa immer eine Taschenlampe mit.

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Hier tastet sich die Levada durch einen dunklen Tunnel. Für solche Fälle hat Wanderführerin Christa immer eine Taschenlampe mit.

Mit viel Begeisterung für die Natur und dem Elan einer Sportlerin führt die 61-Jährige zu ihren Lieblingsplätzen auf der Insel. 1995 kam sie zum ersten Mal nach Madeira und wollte gar nicht mehr weg. Mittlerweile ist die Österreicherin staatlich geprüfte portugiesische Bergführerin.

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Heute ist die Österreicherin staatlich geprüfte portugiesische Bergführerin. Zu ihren Lieblingsorten zählt sie den mystischen Lorbeerwald mit seinen krumm gewachsenen Bäumen.

Zu "ihren Orten" zählt sie den mystischen Lorbeerwald mit seinen krumm gewachsenen Bäumen oder die Halbinsel Ponta de São Lourenço, wo die spärliche Vegetation eher an die schottischen Highlands erinnert. Dort hat der Atlantik die Akustik gepachtet, der die steilen Klippen, Tuffsteine und Basaltschlote umtost. Sie erzählen vom vulkanischen Ursprung Madeiras.

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Auf der Halbinsel Ponta de São Lourenço, wo die spärliche Vegetation eher an die schottischen Highlands erinnert, hat der Atlantik die Akustik gepachtet.

Und zum Glück mag Christa am liebsten einsame Levada-Routen, die noch nicht von Touristenscharen bevölkert sind - wie etwa die Tour auf die Hochebene Paúl da Serra. Auf dem unbesiedelten Plateau hat der Wind das Sagen. Noch bevor man die Kapuze seiner Jacke aufsetzen kann, hat er einem mindestens zehn neue Frisuren verpasst, am Horizont schenkt er dem Meer weiße Schaumkronen. Im Osten dieser Ebene erhebt sich der Pico Ruivo, mit 1.862 Metern der höchste Berg der Insel.

"Hier sickert bei starkem Regen Wasser durch die Erdschicht in die Höhlen direkt unter uns. Man kann diese Hohlräume sogar spüren", sagt Christa, springt dabei kurz in die Luft und stampft mit beiden Beinen fest auf den Boden, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Dann zeigt sie auf ein Bächlein zu ihren Füßen, das wie ein Baby gerade erst brabbeln lernt: Es ist die schmalste Levada auf Madeira. Aus der Luft würde sie wahrscheinlich aussehen wie ein Zwirn, tatsächlich ist sie kaum breiter als ein Wanderschuh.

Wächterin über das Wasser

Wer nur lange genug wandert, trifft hier irgendwann immer auf Maria. Sie ist eine der wenigen Levadeiras, eine weibliche Wächterin über das Wasser. Und wie sich das für diesen Job gehört, eine, die große Ruhe ausstrahlt. Jeden Tag früh um halb sieben schwingt sie sich dennoch auf ihr lautes Quad und tuckert eine steile Straße hinauf zur Levada dos Tornos. Dort dreht sie in einem Steinhäuschen einen Wasserhahn zu, um Druck aufzubauen. Sobald sie die Sperre wieder löst, fließen vier kräftige Ströme den Berg hinunter.

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Sobald die Levadeira, die Wächterin über das Wasser, die Sperre löst, fließen vier kräftige Ströme den Berg hinunter.

Jeder Bauer darf zu einer ganz bestimmten Stunde am Tag mit einem Holzschieber das Wasser, das vor seiner Haustür vorbeigluckert, auf sein Feld umleiten. Über das Wer und das Wann entscheidet Maria. "Es ist schön, den Menschen das Wasser zu bringen", sagt sie. Täglich wandert sie zwölf Kilometer entlang der Levada und fischt Blätter und kleine Äste aus dem Rinnsal. Manchmal wird sie bei ihrer Inspektion von lautem Gezwitscher der Vögel begleitet.

Funchal im Schnelldurchlauf

Auch auf Madeira kommt das Wasser hie und da aus den Wolken. Dann fährt Christa mit den Wanderern in die Hauptstadt Funchal. Im Hafen ankern gut und gerne zehn "schwimmende Hochhäuser" pro Woche. Aus den Kreuzfahrtschiffen strömen Menschen, die keine Zeit haben zum Flanieren, meist sind sie nur wenige Stunden in der Stadt. Dann wuseln sie durch Gassen, schnuppern sich durch Gärten mit Strelitzien und Orchideen, gondeln mit der Seilbahn auf den Monte und sausen wieder mit dem traditionellen Korbschlitten hinunter.

Körbe von der Zuckerinsel

Vielleicht geht sich dann noch der Ausflug ins Korbmacherdorf Camacha aus, wo man zuschauen kann, wie das Flechten funktioniert. Das Alternativprogramm: im Zuckerrohrdorf Porto da Cruz junge Männer bei der Ernte beobachten. Sie schaufeln hier unaufhörlich Rohrzucker in eine dampfbetriebene Maschine mit Zahnrädern, die wer weiß wie lange schon rattern.

Heinrich der Seefahrer brachte das Zuckerrohr im 16. Jahrhundert aus Indien mit. Es gedieh so gut, dass man Madeira lange Zeit die "Zuckerinsel" nannte. Heute hat der Rohstoff nur mehr folkloristischen Wert und wird hauptsächlich zu Schnaps verarbeitet. Dieser wiederum landet vorwiegend im fruchtig-säuerlichen Nationalgetränk Poncha - gemixt mit Zitronensaft und Honig.

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Aus den Kreuzfahrtschiffen strömen Menschen, die keine Zeit haben zum Flanieren. Dann wuseln sie durch Gassen, schnuppern sich durch Gärten mit Strelitzien und Orchideen, gondeln mit der Seilbahn auf den Monte und sausen wieder mit dem traditionellen Korbschlitten hinunter.

Ist der Starkregen vorbei, führt Christa zurück ins Labyrinth der Levadas. "Einmal", erzählt sie, "hatte ich eine Gruppe Kinder." Sie sollten die Geräusche zählen, die das Wasser in den Kanälen hervorbringen kann. "Ein Bub kam auf 47", erzählt sie stolz. Und dann versteht man nicht mehr, was Christa sagt. Zwei Rinnsale sind aufeinandergetroffen und donnern nun wild schäumend eine Steintreppe hinab. Die Lieder der Levada werden hier um einen Rocksong von AC/DC erweitert. (Monika Hippe, Album, DER STANDARD, 30.08.2014)