Der russische Präsident Wladimir Putin könnte sich dieses Mal tatsächlich verkalkuliert haben. Nicht so sehr wegen des Westens, der nach einem Tag des aufgeregten Debattierens wieder zur Tagesordnung übergeht und schärfere Sanktionen als einzigen Schritt sieht, die Sachlage in der Ostukraine zu verändern. Nein, es sind mittlerweile Stimmen aus dem eigenen Land, die eine interne Debatte entfachen könnten, weil sie offenlegen, dass Russland in der Region mitmischt, obwohl das bis dato offiziell immer noch abgestritten wird.

Nun muss man unterscheiden, ob dieses Mitmischen aktiv oder passiv passiert. Sind es tatsächlich nur "Freiwillige", die in ihrer Freizeit den Bruder aus der Ukraine heimholen wollen und die der Kreml mehr oder minder erfreut gewähren lässt? Oder wird die Mitwirkung russischer Soldaten auch von der Moskauer Führung forciert und gesteuert? Wenn Putin die prorussischen Rebellen auffordert, einen Korridor für ukrainische Soldaten zu öffnen, und diese ihm nur wenig später Folge leisten, spricht das jedenfalls schon Bände über seine Autorität in der Region.

Ein Indiz dafür, dass die Aktion in der Ostukraine sehr wohl akkordiert ist, liefern jene Mütter, die sich mittlerweile zuhauf an das "Komitee der Soldatenmütter Russlands" wenden, weil sie keine Information über den Aufenthaltsort ihrer Söhne mehr haben. Andere Mütter müssen ihre auf ukrainischem Boden umgekommenen Kinder schon zu Grabe tragen und nehmen sich dementsprechend bei ihrer Kritik an der russischen Führung kein Blatt mehr vor den Mund.

Mit jedem weiteren gefallenen Soldaten wird deshalb der Druck auf Putin wachsen. Seine Strategie, dem Westen so lange etwas vorzumachen, bis sich gewisse Fakten in der Ostukraine nicht mehr revidieren lassen, könnte nach hinten losgehen. Der nun aufkeimende Unmut zeigt, dass Putin auf lange Sicht auch der eigenen Bevölkerung nicht ins Gesicht lügen kann. (Teresa Eder, derStandard.at, 29.8.2014)