Kunstschaffende versuchen, Seismograf für Umbrüche zu werden, um Momentfragmente, die Jahre prägen werden, einfangen und festhalten zu können. Echos von Einschnitten, die unseren Alltag mitbestimmen, in Krieg oder Frieden. Kunst ist Reaktion auf Erschütterung, ein Mitbeben und Einschwingen.

Die Kunstschaffenden müssen diese Transformation zu einem mobilen Uterus vollbringen, in dessen fragilem Schutz im Schwerelosen neue Ideen heranreifen. Und mit ihnen neue Realität. Was man nicht träumt, wird nie entstehen. Es gibt auch dunkle Flecken auf den strahlend hellen Kleidern der Muse. Rauschhafte Inspiration der Künstler 1914 ebenso wie die Ästhetik der Nazis mit Bücherverbrennungen, entarteter Kunst, mit Riefenstahls Bildern von Kraft und Schönheit, die in Freiheit durch Arbeit endeten, jene des Kommunismus mit seinem zwangsweise verordneten Sozrealismus, mit der künstlerischen Arbeit im Geheimen, gefährlichen Verbreitung von verbotener Literatur und Filmen aus dem Westen.

Dort, wo durch enge Vorschriften das Spielerische der Kunst ausgetrieben wird, erstarrt diese in Parteibeliebigkeit, wendet sich ab von ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck: dem Verweis auf das Schöne und Wahre. Das Spielerische ist innerhalb jeder Zwangsstruktur verboten, und mit ihm sind es die freien Künste und das freie Wort. Musik, Wort, bewegtes und unbewegtes Bild sind Neurotransmitter der anderen Art: Informationsträger, die Hirn und Herz zugleich erreichen. Eine Verwebung von Information, Gefühl, Innenbild und Außensicht.

Genau aus diesem Grund kann Kunst missbraucht werden, durch ihre Treffsicherheit ins Unbewusste besonders perfide - dann aber wandelt sie sich zu ihrer dunklen Schwester, der Propaganda. Die Unfreiheit der Kunst ist ein sicherer Indikator von Diktatur, ein Lackmustest der betroffenen Gesellschaft. Diktaturen wollen Kunst immer zähmen, wie ein Fabelwesen, das ihnen gefährlich werden könnte. Fabelwesen kann man nicht zähmen, sie stehen außerhalb gültiger Normen. Es gibt keine Hausfabeltiere. Einem Einhorn, das man neben die Kühe auf die Weide stellen würde, würde augenblicklich das Horn abfaulen, wenn es nicht Reißaus nimmt!

"Wollen Sie Kunst und Kultur oder Jelinek und Turrini?", plakatierte die 2014 putinaffine FPÖ anno 1995 und verriet nicht, was sie selbst unter Kunst und Kultur verstehen würde. Ich würde ja mittlerweile nicht mehr auf Musikantenstadl, sondern auf Gabalier tippen. Obwohl auch Aktionismus nach Paintball-Art vermutlich zeitlose Werke à la Jackson Pollock goes Austria sichern würde. Momentan hält die Partei, die Liebe und Freiheit predigt, bei 28 Prozent. (Julya Rabinowich, Album DER STANDARD, 30./31.8.2014)