Wien - Wenn die Seestadt Aspern fertig ist, wird Wien zwei Millionen Einwohner haben. Ein kausaler Zusammenhang besteht aber nur bedingt: Schließlich wird die Seestadt nur etwa acht Prozent der dann rund 250.000 neuen Wienerinnen und Wiener beherbergen können. Der große Rest muss woanders unterkommen. "Eigentlich bräuchten wir zehn Aspern", sagte deshalb TU-Stadtforscher Rudolf Giffinger kürzlich zum STANDARD.
Tatsächlich werden auch ein paar mehr gebaut. An Nord-, Nordwest- und Hauptbahnhof entstehen tausende neue Wohnungen, weitere größere Entwicklungsgebiete gibt es in den Flächenbezirken Favoriten, Floridsdorf und Donaustadt. Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) hat vor rund einem Jahr sieben neue Stadtteile präsentiert, die in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren entwickelt werden sollen. Dabei geht es um insgesamt 177 Hektar - also etwa die Größe des vierten Bezirks -, auf denen mehr als 13.000 Wohnungen gebaut werden sollen. All dies schon eingerechnet, sind derzeit "rund 19.000 Widmungen im Laufen", heißt es aus dem Planungsressort recht vage zum STANDARD. Daneben gebe es noch Reserven für weitere 13.000 Wohneinheiten auf der "grünen Wiese".
Doch das Bauen im noch unerschlossenen Gebiet hat Nachteile; Verkehrs- und soziale Infrastruktur (Schulen, Kindergärten) müssen erst errichtet werden, während sie in Gründerzeitvierteln vorhanden sind. Vor allem aber wird die Stadterweiterung nicht ausreichen, um alle Zuwanderer mit Wohnungen zu versorgen.
Nachverdichtung als Notwendigkeit
In der Wiener Wirtschaftskammer sieht man deshalb in Dachausbauten den Königsweg. 100.000 neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden wären noch möglich, sagt Bauträgersprecher Hans Jörg Ulreich. Gerechnet mit 2,5 Personen pro Haushalt, könnte man so "den gesamten Zuzug der nächsten 15 Jahre unter den Dächern unterbringen".
Bei der Stadt rechnet man ein wenig konservativer. Die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) führte vor zwei Jahren eine Studie zu den Wohnraumreserven im Dachausbau durch und kam zu dem Schluss, dass noch 20.000 Dächer ausgebaut werden könnten, was etwa 60.000 neuen Wohnungen entspräche. Dies allerdings "ohne Umwidmungen".
Genau hier hakt Ulreich ein: Die Wiener Flächenwidmung sei nämlich "immer noch auf ein Schrumpfen der Stadt ausgelegt". Mit großangelegten Aufzonungen, also etwa von Bauklasse III (Gebäudehöhe bis 16 Meter) auf IV (21 Meter), könnten hunderte Bestandsbauten höher aufgestockt werden als bloß innerhalb der vorhandenen Kubatur.
Hie und da wird zwar die Flächenwidmung geändert, den Bauträgern geht dabei aber zu wenig weiter. Das liegt auch an der Kompetenzverteilung, die langwierige Verfahren begünstigt. Neben Planungs- und Wohnbauressort reden auch die Bezirke ein gewichtiges Wort mit; dass der Landtag eine Flächenwidmung gegen den Willen eines Bezirks beschließt, wäre laut Stadtverfassung zwar möglich, kommt aber laut Insidern so gut wie niemals vor. Und die im dicht verbauten Gebiet stets zu erwartenden Anrainerproteste tragen das ihre dazu bei, dass viele Verantwortliche die grüne Wiese dem Gründerzeitviertel vorziehen.
Was die Ausgaben für den Wohnbau betrifft, weist Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SP) stets darauf hin, dass die Stadt mehr Geld investiert, als sie vom Bund an Wohnbaufördermitteln bekommt. Wie viel damit aber tatsächlich gebaut wird, ist aus dem Wohnbauressort nicht zu erfahren. Von "6.500 bis 7.000" geförderten Wohnungen ist in Aussendungen stets die Rede.
Die genauen Zahlen erfährt man nur vom Finanzministerium: Demnach wurden 2013 in Wien Förderzusicherungen für genau 5553 Wohneinheiten erteilt, allerdings inklusive 834 Heimplätzen und 653 Wohnungen im Rahmen einer Sanierungsoffensive. Weitere 2347 Wohneinheiten wurden im Vorjahr im Rahmen der "Wohnbauinitiative" bewilligt. Die ersten 192 davon hat der Bauträger KallCo kürzlich fertiggestellt, weitere 218 von der Sozialbau in der Seestadt werden in Kürze übergeben.
Wohnbauinitiative wird verlängert
Ludwig hat die Wohnbauinitiative ("Call") im Jahr 2011 ins Leben gerufen, weil die Wohnbauförderung zusehends ausdünnt. Die Förderzusicherungen im Neubau waren damals auf einem Rekordtief von nur noch 2.481 Wohneinheiten. Nun nimmt die Stadt im Rahmen der Wohnbauinitiative Geld auf und reicht es zu günstigen Konditionen an Bauträger weiter. Diese Darlehen sind für die Stadt aber maastrichtrelevant, Finanzstadträtin Renate Brauner (SP) kann also nicht beliebig viel Geld dafür aufnehmen. Auch deshalb könne die Initiative "keinesfalls den geförderten Wohnbau ersetzen", so Brauner.
Kürzlich wurde die Aktion, ein Mittelding aus gefördertem und freifinanziertem Wohnbau, um weitere 1400 Wohneinheiten verlängert. Für Wohnbauprofis wie Sozialbau-Chef Herbert Ludl ist aber klar, dass die Stadt die klaffende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nur mit vermehrtem freifinanziertem Wohnbau schließen können wird. Die Sozialbau baute 2013 schon zu zwei Dritteln freifinanziert, viele andere Gemeinnützige weichen ebenfalls vermehrt aus - auch wegen hoher Grundstückskosten, die geförderten Wohnbau vielerorts verunmöglichen. (Martin Putschögl, DER STANDARD, 30.8.2014)