Ich esse gerne Steak und lasse noch viel lieber diverse Lebensmittel kontrolliert verrotten. Diese beiden Hobbys lassen sich glücklicherweise manchmal verbinden, auch ganz ohne Fleisch-Reifeschrank - etwa mit Heston Blumenthals 24-Stunden-Steak.

Der Herr Blumenthal, bekannt für seine Mischung aus Kochen und Chemieunterricht, packt für sein perfektes Steak ein ziemlich großes Stück Fleisch bei 50 Grad für 24 Stunden in den Backofen. Damit soll zweierlei bezweckt werden: Die lange, niedrige Hitze beschleunigt die chemischen Prozesse im Steak und lässt es sozusagen über Nacht schnellreifen: Das Fleisch soll weicher werden und mehr Geschmack bekommen. Was beim Dry Agen mehrere Wochen dauert, soll hier in einigen Stunden passieren. Zweitens sorgt die niedrige Hitze, ähnlich wie beim Sous-vide-Garen, dafür, dass das Fleisch absolut gleichmäßig gart und nicht, wie beim Braten unvermeidlich, in den äußeren Bereichen überkocht.

Seit ich jedenfalls vor Jahren diese Videos gesehen habe, habe ich mir immer wieder vorgenommen, das Steak eines Tages zu versuchen - allein, es hat sich irgendwie nie ergeben. Bis vergangene Woche. Dann hatte ich endlich alles beisammen, was der Steak-Koch nach Heston Blumenthal so braucht: ein ordentlich großes Stück Rostbraten, ein Ofenthermometer, einen kleinen Flammenwerfer und genug Zeit für den Selbstversuch.

Das 24-Stunden-Steak

Ich habe mit einem etwa 2,5 Kilo schweren Stück Rostbraten gearbeitet, nicht besonders gereift, recht langweilige durchschnittliche Fleischer-Kettenware. Als Kontrollsteak habe ich eine weitere 500-Gramm-Scheibe Rostbraten vom gleichen Tier dazu erstanden.

Bevor Sie das 24- Stunden-Steak mit Ihrem Backrohr angehen, besorgen Sie sich auf jeden Fall ein Backofenthermometer, um sicherzugehen, welche Temperaturen tatsächlich in Ihrem Rohr herrschen. Meines hält glücklicherweise bei einer Einstellung auf 50 Grad relativ konstant 45 bis 47 Grad - das war meine Fleischreife-Temperatur. Bei wem es heißer wird, der kann einen Kochlöffel in die Tür stecken und sie so einen Spalt offenhalten.

Foto: Tobias Müller

Ich habe, zugegeben, meine Bedenken gehabt, ob sich ein Stück Fleisch außerhalb eines Labors wirklich 24 Stunden bei diesen Temperaturen halten lässt. 50 Grad entsprechen eher einem sommerlichen Markt in der Sahelzohne als einem Backrohr. Der Herr Blumenthal behandelt das Stück Fleisch deswegen auch noch mit einem kleinen Flammenwerfer: Er brennt es rundum ordentlich ab, um alle Bakterien auf der Oberfläche abzutöten und eine unerwünschte Schnellverwesung im Rohr zu vermeiden. Blumenthal meint außerdem, das Abflämmen gebe dem Fleisch einen besonders guten Geschmack.

Foto: Tobias Müller

Sauberkeit hat bei der Methode jedenfalls meiner Meinung nach oberste Priorität: Ich habe das Backrohr samt Rost vor dem Experiment auf 250 Grad geheizt, um es zu desinfizieren. Ich habe beim Abflämmen jede noch so kleine Fleischfalte mit einer Gabel geöffnet und hineingefeuert.

Foto: Tobias Müller

Und ich habe erst die Unterseite des Bratens abgebrannt, ihn dann umgedreht und von da an, also nach dem weiteren Ansengen, nicht mehr angegriffen. Die Sorgfalt hat sich gelohnt: Es hat mehr als zwölf Stunden gedauert, bis das Steak überhaupt zu riechen begonnen hat, und dann hat sich ein dezenter, etwas süßlicher Fleischbratduft entwickelt.

Foto: Tobias Müller

Wenn Sie alles richtig gemacht haben, wachen Sie in der Früh auf, und Ihre Wohnung stinkt immer noch nicht nach totem Tier. Das Stück Fleisch sollte über Nacht dunkelstbraun, fast schwarz werden, eine ganz erstaunliche Karamellisierung für die niedrigen Temperaturen. Nach der Garung kommt der mühsame Teil: Meister Blumenthal schneidet die äußere Schicht seines Steaks ab - warum, geht aus dem Video nicht ganz hervor. Vermutlich ist auch ihm die niedrige Temperatur und lange Bakterien-Zucht-Zeit zu heikel.

Foto: Tobias Müller

Anschließend schneiden Sie den Braten in ordentlich dicke Steaks und braten diese bei großer Hitze nochmals an - in meinem Fall eine Minute pro Seite auf der obersten Herdstufe. Und dann? Salzen und nach gut 25 Stunden endlich probieren.

Foto: Tobias Müller

Das Ergebnis

Zum Vergleich habe ich die andere 500-Gramm-Scheibe des Ribeyes nach dieser bewährten Minute zubereitet und die beiden gleichzeitig verkostet. Das Blumenthal-Steak hat klar gewonnen: Die Methode hat dem sonst eher faden, nicht sehr lange abgehangenen Fleisch tatsächlich so etwas wie Reifegeschmack verliehen, es war deutlich fleischiger, zarter und saftiger.

Würde ich es wieder tun? Eher nicht. Setzen Sie stattdessen auf gut abgehangenes, altes Rind. Richtig gereiftes Fleisch schmeckt immer noch besser und ist auch mit weniger Zeit, Fuzzelei, Stromkosten und Verwesungsängsten köstlich. Was herauskommt, wenn man bereits gut gereiftes Fleisch per Schnellreifung verfeinert? Ich weiß es nicht. Finden Sie es heraus und posten Sie es hier! (Tobias Müller, derStandard.at, 31.8.2014)