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Federica Mogherini – Italiens Aufsteigerin wird EU-Außenbeauftragte

Foto: REUTERS/Laurent Dubrule

Mit der Nominierung von Donald Tusk und Federica Mogherini haben die Staats- und Regierungschefs der Union das große Personalpaket mit den wichtigsten EU-Führungsposten, das nach jeder Europawahl ansteht, fertig geschnürt. Endlich, muss man hinzufügen, es wurde langsam Zeit. Denn dass die höchste Ebene der europäischen Politik drei Anläufe, drei EU-Gipfel und drei Monate braucht , um sich über das Spitzenpersonal einig zu werden, die die Union bis 2020 durch gewaltige Krisen steuern muss, spricht nicht für sie.

Es ist ein Schwächezeichen, ein Ausdruck des Zauderns, des Mangels an Führung und Strategie. Die tiefe Konjunkturkrise, die steigenden Arbeitslosenzahlen, der Krieg, den der russische Präsident Wladimir Putin Stück für Stück in die Ukraine trägt, dulden keinen Aufschub. Europa und seine Bürger sind nicht in einer Situation, in der sie sich eitle, von Parteiegoismus und nationalen Befindlichkeiten verursachte Verzögerungen leisten können. Die Europäer brauchen handlungsfähige EU-Institutionen und mutige Taten, nicht die ewigen Debatten.

Unzeitgemäße Vorgangsweise

Die aber gibt es zwischen den Regierungschefs mehr als zur Genüge. Man muss daran erinnern, wie lange sie sich zierten, den Spitzenkandidaten der Christdemokraten und Sieger bei den EU-Wahlen, Jean-Claude Juncker, endlich als künftigen Chef der EU-Kommission zu nominieren. Mit der Wahl von Mogherini zur Nachfolgerin von Catherine Ashton und Tusk als Ersatz für den ständigen Ratspräsidenten Herman van Rompuy ist es auch noch lange nicht getan. Mangels Ashton-Nachfolgerin konnte Juncker sein Team für die Kommission bisher nicht zusammenstellen. Er hat Verspätung. Bis alle nationalen Kandidaten endlich verteilt sind, sich dem EU-Parlament zu Anhörungen gestellt haben, werden weitere drei Monate ins Land ziehen. Frühestens im Dezember wird die neue Kommission voll handlungsfähig sein.

Das ist – mit Verlaub – eine völlig unzeitgemäße Vorgangsweise. Europa ertrinkt in Problemen, aber seine Regierungschefs treffen sich im Monatsabstand, um Politik in Trippelschritten zu machen.

"Europäischer Mehrwert"

Bleibt die Frage, ob die Personalauswahl mit Zeitverzögerung wenigstens nur exzellentes neues Personal an die Spitzenposten der Union gespült hat. Auch da sind zumindest Zweifel angebracht. Mit Juncker bekommen wir einen in Wahlkampf und Nachwahlstreiterei gut gestesteten Kommissionschef. Als früherer luxemburgischer Regierungschef mit 19 Jahren Erfahrung dürfte er auch inhaltlich wenig Schwächen aufweisen. Die entscheidende Frage wird aber eher sein, ob es ihm gelingt, nach dem schwachen José Manuel Barroso ein starkes Kommissionsteam zu formen und den Regierungschefs ein echtes Gegengewicht zu sein; ob er politische Vorschläge und Initiativen zusammenbringt, die die Staaten gemeinsam voranbringen, die einen „europäischen Mehrwert“ erzeugen.

Bei Tusk und Mogherini hingegen gibt es mehr Fragezeichen. Sie sind schlicht und einfach das Ergebnis von politischen Hinterzimmerdeals, bei denen weniger die persönliche Qualifikation eine Rolle spielte, sondern Herkunft und Zugehörigkeit. Parteizugehörigkeit, Geschlecht, Herkunftsland, geografische Kriterien wie Ost oder West, Nord oder Süd spielten die Hauptrolle.

Mangel an Berufserfahrung

Weil der Luxemburger Juncker ein Christdemokrat (aus einem kleinen Land) ist, wurde den Sozialdemokraten das erste Recht auf Nominierung eines Außenbeauftragten zugestanden. Auf Mogherini ist die Wahl gefallen, weil eine Frau aus dem Süden gesucht war, möglichst aus einem großen Land mit EU-Tradition. Es hätte in der Union zweifellos einige Kandidaten gegeben, die gestandene Außenpolitiker mit reichlich Erfahrung sind. Die Italienerin kann das von sich nicht behaupten. Sie ist seit vergangenem Februar im Amt, war vorher eine weitgehend unbekannte Abgeordnete im Parlament in Rom. Das heißt nicht, dass sie sich nicht entwickeln kann. Sie ist international ausgebildet, spricht mehrere Sprachen, ist eine gewinnende Person. Aber Ähnliches hat man auch schon 2009 gesagt, als die außenpolitisch unbelegte Ashton ausgewählt wurde – übrigens auch von den Sozialdemokraten mit ähnlichen Kriterien. Wirklich überzeugt hat sie in den vergangenen fünf Jahren nicht. Den meisten EU-Bürgern dürfte Ashton noch heute unbekannt sein. Mogherini sagte bei ihrer ersten Pressekonferenz nach der Nominierung, nun komme eben eine junge Generation von Europäern zum Zug, eine, für die die EU immer „ein Traum“ gewesen sei. Okay, da ist gut so. Aber es wird allein nicht reichen, sich mit den Schurken dieser Welt erfolgreich auseinanderzusetzen.

Bleibt Tusk. Auch ihm mangelt es an internationaler Berufserfahrung. Er hat seine politische Karriere ausschließlich in Polen gemacht. Aber der Lebensweg des studierten Historikers ist beeindruckend. Tusk war zuletzt sieben Jahre Regierungschef seines Landes, und er kann von sich behaupten, es trotz Weltwirtschaftskrise gut weitergebracht zu haben, auch wenn er zuletzt innenpolitische Probleme hatte. Was ihn aber zu etwas wirklich Besonderem macht, ist seine längere Vergangenheit. Tusk war bereits 1980 einer der ersten Aktivisten der Solidarnosc. Er hat an der Befreiung Polens, am Weg in die Freiheit und in die Mitgliedschaft in EU und Nato aktiv mitgewirkt. Aus dieser Generation gibt es nicht mehr so viele aktive Politiker. Gerade in der außenpolitisch kritischsten Zeit seit Jahrzehnten ist seine Ernennung ein Zeichen, dass die EU es Ernst meint mit der Überwindung der Teilung, dass sie ein Zurückfallen in Zeiten der Kalten-Krieg-Logik nicht mehr zulassen will. Seit den Beitritten 2004 sind die Osteuropäer in Brüssel ein wenig vernachlässigt worden. Ein Pole als protokollarisch höchster Politiker der Union, das ist ein starkes Zeichen. Moskau sollte das nicht als Drohung missverstehen, aber durchaus als Ausdruck von Selbstbewusstsein der Union. (Thomas Mayer, derStandard.at, 30.8.2014)