Blumfeld in Wien: "Reizend", bemerkte Distelmeyer kokett und flirtete mit seinem fanatischen Publikum.

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Wien - Blumfeld haben es geschafft. Schon lange. Misst man den Erfolg von Pop anhand seines Eingangs in den Alltag und dessen Sprache, war die Hamburger Band mindestens frühreif. Am Samstag rief sie einem das in einer vollen Wiener Arena in Erinnerung. Dort gastierte Blumfeld aus Anlass des 20. Jubiläums ihres zweiten Albums L'État Et Moi.

Es gehört heute zur gängigen Poppraxis, dass Bands mit speziellen Alben auf Tour gehen und diese eins zu eins von der Bühne hauen. Hat was. Manchmal.

Blumfeld wollten das Album nicht Stück für Stück wie im Museum ausgestellt abschreiten. Also war man mit der Auslegung des Jubiläumsangebots großzügig und schöpfte aus dem gesamten Frühwerk. Dieser Song-Pool führte vor Augen, welche Langzeitwirkung Blumfeld besitzen.

Schon der Opener, Draußen auf Kaution, das erste Stück von L'État Et Moi, das von Hubschraubergeräuschen eingeleitet wird, katapultierte einen in zwei Zeitzonen. Zurück nach 1994 und in die Zeitlosigkeit. Ja, es funktioniert noch. Die Musik wie der Text. Gefladert haben Blumfeld ihre Musik damals von Bands wie Sonic Youth. Das war total okay. Bei wem sollten sie sich sonst bedienen? Beim Alan Parsons Project, bei Boston?

Blumfeld veredelten ihre Beute mit einer radikalen Poesie, die rasch Eingang in die Alltagssprache der damals Eingeweihten fand. Da soll die Frage "Kommst du mit in den Alltag?" nicht nur einmal mit "Lass uns nicht von Sex reden" beantwortet worden sein.

Jochen Distelmeyers Texte waren und sind ein eloquenter Mix aus Egozentrik und Verzweiflung über eine schlechte Welt. Voll das Leben. Das zeitigte Songtitel, die sich wie Buchrücken lesen: Aus den Kriegstagebüchern. Zwei oder drei Dinge, die ich von dir weiß. Von der Unmöglichkeit "Nein" zu sagen, ohne sich umzubringen. Und, und, und. Diskurs-Pop wurde das genannt und die Hamburger Schule ausgerufen.

Ein Satz Asse im Ärmel

Distelmeyers Texte erblühten wie Mauerblümchen mit Stacheln, Disteln - haha! -, wenn man so will. Das war eine Kunst. Eine andere führte das Konzert wieder vor, nämlich diese enormen Textwürste zu memorieren und sie mit Lärmrockstücken abzustimmen. Gegen Blumfeldtexte sind herkömmliche Bürgschaften und Erlkönige profane Sinnsprücherln.

All diese Talente wie einen Satz Asse im Ärmel spielte sich die Band vierköpfig in Form und Laune. "Reizend", bemerkte Distelmeyer kokett und flirtete mit seinem fanatischen Publikum. Blumfeld holzten sich durch Jet Set, den Penismonolog oder Superstarfighter. Da flogen Spucke und Schweiß, da umarmten sich Relevanz und Rock 'n' Roll.

Das Lied Evergreen ließen sie mit The Girl from Ipanema in einen solchen übergehen, die traditionelle Schlussnummer Verstärker streckten sie in ein Medley aus Electric Guitars (Prefab Sprout) und Cole Porters Ev'ry Time We Say Goodbye. Ein Traum.

Am Ende stellte sich die alte Fanfrage: Von welchem Idioten stammt eigentlich der Satz, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist? (Karl Fluch, DER STANDARD, 1.9.2014)