Ländliche Idylle statt städtischem Wirbel. Immer mehr Menschen zieht es in den Speckgürtel.

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Wien - Der Speck wird immer dicker und kompakter. Das Wiener Umland verzeichnet bevölkerungsmäßig die größten Wachstumsraten in Österreich und legt auch weiter zu: "Die stärksten Zunahmen werden auch in den kommenden Jahrzehnten in den Regionen rund um die großen Städte verzeichnet sein, insbesondere betrifft das den Großraum rund um Wien", heißt es in der Regionalprognose 2010-2030 der Österreichischen Raumordnungskonferenz.

Laut Statistik Austria leben derzeit fast 639.000 Personen im Wiener Umland. 2002 sah das noch anders aus: Da waren es noch rund 67.000 Bürger weniger. Manche Gemeinden werden besonders stark wachsen: Die Stadt Schwechat (derzeit rund 17.000 Einwohner) rechnet im Jahr 2030 beispielsweise mit bis zu 25.000 Bürgern. Allein im Jahr 2013 wuchs die Stadt um 200 Einwohner.

Heinz Fassmann, Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung und Raumordnung an der Uni Wien und Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung an der Akademie der Wissenschaften, geht davon aus, dass im Großraum Wien in 15 Jahren rund drei Millionen Menschen leben werden. "Das Problem dabei ist: Das betrifft zwei Bundesländer, die raumplanerisch keine wirkliche Liebesbeziehung haben", sagt Fassmann.

Es brauche aber eine "stärkere Stadtregionsplanung". Außerhalb der Stadtgrenze fällt die raumplanerische Kompetenz de facto den einzelnen Bürgermeistern zu.

Bessere Infrastruktur im Süden

Mit "Wiener Umland" meint die Statistik Austria im Norden die politischen Bezirke Korneuburg und Tulln sowie Teile Gänserndorfs, Mistelbachs und des Bezirks Wien-Umgebung. Der südliche Teil umfasst die politischen Bezirke Bruck an der Leitha und Mödling sowie den nördlichen Teil des Bezirks Baden und den südlichen Teil von Wien-Umgebung.

Fassmann meint, dass zum Beispiel überregional gesteuert werden könnte und sollte, in welchen Regionen mehr Personen zuziehen sollen und in welchen weniger. "Die Südachse wäre beispielsweise eine Region, die mehr wachsen sollte", meint Fassmann. Und zwar deshalb, weil diese Region verkehrstechnisch gut erschlossen ist – sowohl mit der Südbahn als auch mit der Südautobahn.

Zwar gibt es auch über die Gemeinde- und Bundesländergrenzen hinweg übergreifende Initiativen für eine bessere Koordination in Infrastkrukturfragen – beispielsweise die Planungsgemeinschaft Ost –, diesen Projekten fehlt laut Fassmann aber "die Tiefenstruktur".

Mittelschichtgürtel

In den Speckgürtel zieht es vor allem Mittelschichtsbevölkerung. "Oft wird ein Grundstück erworben oder ein Haus, Mietwohnungen sind nicht so die Wohnform dort", sagt Fassmann. Andere Bevölkerungsgruppen als die Mittelschicht bleiben demnach überproportional in der Stadt zurück. "Das ist für die Stadt problematisch", meint der Experte. Außerdem bedeutet der starke Zuzug klarerweise einen raschen Preisanstieg bei Grund und Wohnraum.

Auffallend ist aber auch die steigende Zahl nichtösterreichischer Staatsbürger, die in den Speckgürtel zieht: 2002 kamen rund 2.000 ins nördliche und 2.600 ins südliche Wiener Umland. Im Jahr 2014 waren es bereits mehr als 3.500 im Norden und gut 4.100 Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Süden des Speckgürtels. Die Zahl zuziehender Wiener oder Niederösterreicher ist im Verlauf hingegen relativ konstant.

Dass hinausziehende Jungfamilien irgendwann als ältere Personen beispielsweise wegen der Gesundheitsversorgung wieder zurück nach Wien ziehen, ist laut Fassmann übrigens "eine Mär". Er habe dafür jedenfalls noch keine statistischen Belege gefunden.

Großteil zwischen 45 und 59 Jahren

Die meisten im Wiener Umland wohnhaften Personen fielen im Jahr 2002 laut Statistik Austria in die Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen. Dementsprechend hoch ist jetzt der Anteil der 45- bis 59-Jährigen, die heute in der Region leben: 140.500 Menschen, also aufgerundet fast jeder fünfte dort Wohnhafte, fällt in diese Altersgruppe.

Die 30- bis 44-Jährigen sind nun nur mehr die zweitgrößte Gruppe in dem Gebiet: Insgesamt zählen rund 109.000 Menschen dazu. Der Speckgürtel wird also nicht nur dichter, sondern auch älter. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 4.9.2014)