Seit Monaten beherrschen die Ukraine-Krise und das Vorgehen des Islamischen Staates (vormals ISIS/ISIL) im Irak und Syrien die internationale Politik. Auf den ersten Blick scheinen ein nationalistischer Konflikt in Osteuropa und die Ausbreitung einer radikalislamischen Terrororganisation im Nahen Osten als unabhängige Ereignisse. Es gibt jedoch einen Zusammenhang zwischen beiden Konflikten, der es wert ist, genauer betrachtet zu werden: Fossile Energieträger.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Energiepreise steigen, wenn internationale Krisen ausbrechen. Man kennt dies als Meldung: "Die Märkte reagierten nervös auf die angespannte Lage." Betrachtet man jedoch den Energiepreisindex seit Beginn des Jahres, so fällt auf, dass er dem allgemeinen Verbraucherpreisindex folgt.

Weder die russische Besetzung der Krim, noch das Aufflammen der Kämpfe in der Ostukraine finden Widerhall in der Preisentwicklung, genauso wenig wie die Eroberung von Teilen des Iraks durch ISIS/ISIL und die anschließenden amerikanischen Luftangriffe. Wie lässt sich dies erklären?

Mitnichten kann hier von einem Zufall oder auch nur von nicht intendierten Effekten gesprochen werden. Die weitgehende Stagnation der Energiepreise ist das Produkt zweier Entwicklungen. Der Fracking-Boom in den USA hat die Ölproduktion des Landes dermaßen expandieren lassen, dass der größte Energieimporteur sich zur Autarkie hin entwickelt - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Weltpreise.

Zentrale Rolle fossiler Brennstoffe

Diese Entwicklung wird von der US-Regierung entschieden vorangetrieben, zusammen mit den amerikanischen Verbündeten am Persischen Golf. Dies ist der zweite Grund, warum die Krisen dieses Jahr kaum Einfluss auf die Energiepreise hatten. Hier liegt auch die stärkste Verbindung zwischen der Ukraine und den Geschehnissen im Irak. Für die Finanzierung beider ist der Verkauf fossiler Brennstoffe von zentraler Bedeutung.

Seitdem sich in den Golfmonarchien die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass sich eine Organisation wie ISIS/ISIL nicht steuern lässt, stehen sie nicht mehr als Finanzier zu Verfügung. Seine Finanzen bestreitet der Islamische Staat nun aus den eroberten Gebieten und deren Bodenschätzen, also Erdöl. Die Rebellen in der Ukraine wiederum sind zur Gänze auf Zuwendungen aus Moskau angewiesen. Dort fressen sie zusammen mit den Zuwendungen an die Krim ein Loch ins russische Budget, das durch Gasexporte finanziert wird.

Es besteht also bei beiden Gruppen eine Abhängigkeit vom internationalen Energiemarkt. Je niedriger die Preise für Erdöl und -gas, desto schlechter ist es um ihre Finanzierung bestellt.

Genau dort setzte Saudi Arabien im Juli an, als es seine Förderquote erhöhte. Für die Golfmonarchie steht dabei natürlich die Wirkung auf den Islamischen Staat im Vordergrund. Von der Unterstützung feindlicher Kräfte in Syrien abgesehen gibt es kaum Berührungspunkte zwischen Moskau und Riyad. Das heißt aber nicht, dass es nicht ebenso Auswirkung auf Russland beziehungsweise die Rebellen in der Ukraine hätte.

Was folgt für die Europäische Union daraus?

Zunächst muss man anerkennen, dass die Situation in der Ukraine und die im Irak/Syrien von unterschiedlicher Bedeutung für uns sind. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass –auch wenn es kein realistisches Szenario gibt, bei dem der Islamische Staat eine ernsthafte Bedrohung für Europa darstellte – die Lage im Nahen Osten auch nicht ignoriert werden darf. Sowohl die humanitäre Katastrophe, die sich im Irak und Syrien abspielt, als auch die sich anbahnende, langfristige Destabilisierung weiterer Teile des Nahen Ostens stellen ein Problem dar.

Das Machtstreben Russlands und der daraus resultierende Bürgerkrieg in der Ukraine sind geographisch näher, vor allem aber ist die Bedrohung substantieller. Die Aktivitäten russischer Soldaten in der Ostukraine sind eine Folge der militärischen Besetzung der Krim, die wiederum Folge des Georgienkrieges war. Dies alles ist Ausdruck einer Art Lernprozess innerhalb der russischen Zirkel der Macht, bei dem kriegerische Handlungen auf dem Boden souveräner Nationen zu legitimen Mittel der Außenpolitik werden. Diesem Lernprozess gilt es Einhalt zu gebieten.

Aber wie, was kann die Europäische Union tun, um dem Geschehen an der europäischen Peripherie zu begegnen?

Auf kurze Sicht kann die EU wenig unternehmen, um die Energiepreise direkt zu senken. Die Ausbeutung der europäischen Erdöl und -gaslagerstätten hat ihren Zenit bereits überschritten. Selbst bei Fracking – und dies ist ein Schritt, den man sich auf Grund der ökologischen Konsequenzen sehr, sehr genau überlegen sollte – wäre die Anlaufzeit der technischen Realisierung zu lang.

Ausbau alternativer Energiegewinnung

Wesentlich sinnvoller ist der Ausbau alternativer Energiegewinnung, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und deren Exporteuren verringern werden. Doch auch diese Option braucht Zeit, ist ein langfristiges Ziel und keine Ad-hoc-Lösung. Um so wichtiger ist es, so schnell als möglich damit zu beginnen.

Es bleiben also politische Handlungsoptionen – und dabei steht Europa besser da, als man vielleicht meinen möchte. Die Abhängigkeit von russischem Gas wird auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Aber die fallenden Energiepreise spielen uns in die Hand. Je weniger Russland für sein Gas erhält, umso wichtiger wird es für Russland, dass die Menge nicht abnimmt, um überhaupt noch an die dringend benötigten Devisen zu gelangen. Besonders die jüngst verhängten Gegensanktionen beweisen dies sehr deutlich. Betrachtet man sie im Detail so fällt auf:

1.) Ein Teil war nur Bluff und wurde schon klammheimlich zurückgenommen.

2.) Die versteckten Gegensanktionen Russlands betreffen vor allem Luxuslebensmittel, also solche die für die Ernährung nicht zwingend notwendig sind aber Devisen verbrauchen.

3.) Maschinen für Gasförderung und -transport sind nicht betroffen.
Daraus kann man schließen, dass Russland schon jetzt um seine Devisen bangt, nicht autark ist und nicht vorhat, einen vollkommenen Lieferstopp durchzuziehen. Wesentlich unberechenbarer ist die russische Bereitschaft zur militärischen Eskalation.

Ebenso schwierig ist es, darauf die richtige Reaktion zu finden. Wirtschaftliche Sanktionen oder das Drücken von Energiepreisen zeigen nicht so schnell Wirkung, wie mit Panzern Fakten geschaffen werden können. Das heißt, die Mitgliedsstaaten der EU müssen von vornherein klar machen, was ein ausgeweitetes militärisches Vorgehen in der Ostukraine zur Folge hat.

Diese Folgen müssen klar definiert sein, ihr Hauptziel muss weiterhin die politische und wirtschaftliche Elite um Putin sein und es muss zwingend einen Automatismus für diese Sanktionen geben.

Handlungsbedarf

Ist dies nicht gewährleistet, kann man sie sich auch gleich sparen. Einmal offiziell erobertes Gebiet wird man über Sanktionen nicht wieder frei bekommen. Der Handlungsbedarf ist jetzt gegeben, um für die kommenden Monate gerüstet zu sein. Es sind nur noch drei Wochen bis zum Herbstbeginn und mit fallenden Temperaturen wird mehr Energie verbraucht. Strittige Fragen zum weiteren Vorgehen und zur Energiesolidarität innerhalb der EU müssen jetzt geklärt werden. Die europäische Außenpolitik muss winterfest gemacht werden, bevor der Winter kommt. (Matthäus Vobruba, derStandard.at, 2.9.2014)