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In der Straßenverkehrsordnung braucht es eine moderne Hierarchie der Rechte, fordert Florent Marciacq.

Foto: APA/Fohringer

In den letzten fünf Jahren habe ich zwei Geldstrafen wegen des Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bekommen. Beide, weil ich mit dem Fahrrad gegen die Einbahn gefahren bin. Mir ist seitdem klar, dass etwas mit der gesetzlichen und polizeilichen Behandlung von den drei Hauptverkehrsgruppen - Fußgänger, Radfahrer und Autos - gar nicht stimmt. Denn Vorrang wird dem Stärkeren gegeben - dem Autofahrer vis-à-vis dem Radfahrer und dem Radfahrer vis-à-vis dem Fußgänger.

Bei meinem ersten Verstoß vor ein paar Jahren erfuhr ich, dass es gemäß der StVO besser (oder billiger) ist, auf dem Gehsteig zu fahren als gegen die Einbahn. Die Strafe ist niedriger, wenn man in den Raum der Fußgänger eingreift (vorausgesetzt man gefährdet sie nicht). Sie ist höher, wenn man sich selbst als Radfahrer gefährdet (dadurch, dass man gegen die Einbahn fährt) oder in den Raum der Autofahrer eingreift.

Bei meinem zweiten Verstoß erfuhr ich, dass die StVO in erster Linie für die Autos gestaltet wurde, und dass sie blindlings auf Radfahrer angewandt wird, als ob ein Fahrrad gleichermaßen gefährlich wäre als ein Auto. Die Geldstrafen, die Autofahrer und Radfahrer zahlen müssen, sind heute gleich hoch. Das ist einfach absurd, wenn man bedenkt, dass Strafen das verhältnismäßige Risiko widerspiegeln sollten, die Autos beziehungsweise Rad darstellen.

Als Fahrradfahrer zahlt man heute

  • 50 Euro, wenn man gegen die Einbahn im Stadtzentrum fährt (egal ob langsam oder schnell);
  • 70 Euro, wenn man rechts bei der roten Ampel abbiegt und
  • mehrere Hundert oder sogar Tausende Euro, wenn man Alkohol getrunken hat.

Das ist völlig unverhältnismäßig: ein Radfahrer, der gegen die Einbahn fährt, rechts bei der roten Ampel abbiegt oder (leicht) angeheitert fährt, ist nicht so gefährlich wie ein Auto!

Die StVO sollte den Vorrang immer dem schwächsten Glied im Verkehr geben. Der StVO-Strafenkatalog unterstützt dieses Prinzip nicht. Es geht nicht nur darum, mehr Raum für die Fahrräder zu schaffen. Die Mobilität der Fußgänger einzuschränken, indem man auf dem Gehsteig Radwege aufbaut, anstatt auf den Straßen, zum Beispiel, weicht dem Problem aus.

Was im Gegenteil benötigt wird, ist eine moderne Hierarchie der Rechte, die dem Schwächsten im Verkehr mehr Freiheit, mehr Raum und Sicherheit erteilt und die Rechte und Pflichten der Gefährlichsten (also der Autos) in der Stadt verhältnismäßig einschränkt beziehungsweise ausdehnt.

Gibt es hier keinen politischen Spielraum, um diese Vision umzusetzen? Oder gehören einfach meine Vorstellungen zu einer anderen Welt? (Florent Marciacq, derStandard.at, 5.9.2014)