Will die ÖVP fit machen: Gernot Blümel.

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STANDARD: Ihr neuer Parteichef wünscht sich, die ÖVP solle klarer machen, was sie will. Als Zuständiger für die Grundsatzarbeit: Was will denn die ÖVP?

Blümel: Wir wollen uns weiterentwickeln und unsere Grundsätze in der Regierung besser vertreten.

STANDARD: Ist das bislang zu wenig geschehen?

Blümel: Wir haben versucht, unsere Positionen so gut wie möglich im Regierungsprogramm unterzubringen. Das ist immer ein Kompromiss. Unsere Grundsätze bleiben jedenfalls dieselben.

STANDARD: Dafür starten Sie jetzt den Evolutionsprozess - oder sagen Sie Evolution auf Englisch ...

Blümel: ... wie Sie wollen ...

STANDARD: ... wie sagen Sie's?

Blümel: Evolution, deutsch ...

STANDARD: ... da haben Sie jedenfalls drei Entwicklungsfelder definiert. Und zwar: Programm, Strukturen und die Menschen. Bei Letzterem sind Sie ja bereits voll in der Umsetzungsphase, scheint es.

Blümel: Das ist der Punkt: Es geht nicht um Köpfe an der Spitze, sondern darum, was sich die Mitglieder von der Organisation erwarten - und umgekehrt. Wir haben in manchen Bereichen Verbesserungspotenzial.

STANDARD: Hat sich ihr Arbeitsauftrag mit dem Obmannwechsel geändert? Steht der Zeitplan?

Blümel: Wir wollen im Frühjahr 2015 auf einem Reformparteitag die ersten Beschlüsse fassen.

STANDARD: Mittels Urabstimmung?

Blümel: Das ist eine Möglichkeit, definiert wurde das noch nicht.

STANDARD: Sie haben bei der ersten Präsentation des Reformvorhabens gesagt, dass es vor allem um die Strukturen gehe. Immer noch so?

Blümel: Das Leben hat sich weiterentwickelt. Ich kenne Leute, die sind zuerst Arbeitnehmer, dann machen sie sich selbstständig, einer ist jetzt Biobauer. Der ist Mitte 30 und hat schon drei Bünde durch - die Junge ÖVP miteingerechnet, vier. Wo fühlt sich denn so jemand zugehörig? Und das wird ja immer mehr die Normalität, dass man nicht sein ganzes Leben lang einer Aufgabe anhängt. Hier braucht es Durchlässigkeit.

STANDARD: Auf Ihrer Ideenpinnwand wird angeregt, die Bünde ersatzlos zu streichen. Vorstellbar?

Blümel: Das ist jetzt ein unzulässiger Umkehrschluss. Die Strukturen müssen nicht total aufgelöst werden, sie gehören neu gestaltet. Aber wir lassen jetzt absichtlich alle Debatten zu - sonst bräuchten wir ja keinen offenen Prozess.

STANDARD: Was erachten Sie noch als nicht mehr zeitgemäß?

Blümel: Manche Formulierungen sind wirklich retro. Da ist von "Ausländern" die Rede oder von "Behinderten". Gott sei Dank sind wir da schon viel weiter, auch in der öffentlichen Debatte.

STANDARD: Neue Begrifflichkeiten sind rasch zu erreichen. Wie sieht es mit inhaltlicher Adaptierungsarbeit aus: Stichwort Steuern?

Blümel: Wir wollen innerhalb der Entwicklungsfelder bleiben. Es geht weniger um die konkrete Ausformulierung von politischen Maßnahmen. Das ist erst der zweite Schritt. Die Evolution hört ja nicht auf, wenn wir das Parteiprogramm beschlossen und vielleicht die Strukturen verändert haben, sondern das soll ja dann in einem neuen Wahlprogramm münden.

STANDARD: So konkrete Dinge wie die Vermögenssteuer werden also gar nicht erst diskutiert?

Blümel: Ich nehme schon an, dass das Thema sein wird. Letztlich geht es aber darum, das Grundsatzprogramm zu definieren. Daher bin ich ja so froh, dass wir wieder weg sind von der tagespolitischen Personaldebatte. Jetzt kann man sachlich diskutieren, auch wirklich kontroversielle Dinge.

STANDARD: Das klingt so, als ob der Rücktritt von Michael Spindelegger als VP-Chef ein Glücksfall ist?

Blümel: Es gibt jedenfalls ein Momentum des Aufbruchs. Wenn am Montag ein neues Regierungsteam beim Bundespräsidenten angelobt wird und am Donnerstag den Start der Parteiweiterentwicklung hat, passt das ganz gut zueinander.

STANDARD: Wenn es um Grundlegendes geht, gehört dann auch rein, dass sich nicht jeder Landeshauptmann einen Minister wünschen kann?

Blümel: Ich verstehe Ihr Interesse an diesen Fragen. Aber bei der Evolution geht es um grundlegendere Dinge.

STANDARD: Klubchef Reinhold Lopatka will, dass bei den nächsten Postenbesetzungen die Steirer dran sind. Alte Schule?

Blümel: Das hat er nicht gesagt. Er hat erklärt, dass die Steirer viele fähige Persönlichkeiten haben ...

STANDARD: ... und die sollte man nächstes Mal berücksichtigen.

Blümel: Solche Diskussionen wird es wahrscheinlich immer geben. Solange es Volksparteien gibt, wird so etwas stattfinden. Wie auch in allen anderen Parteien. Gleichzeitig sehen wir aber: Wenn wir gemeinsam am selben Strang ziehen, dann kann viel gelingen.

STANDARD: Genau das war offensichtlich bei Spindelegger nicht gegeben. Da gab es ja offensichtlich ein Loyalitätsproblem.

Blümel: Deswegen sind die Dinge auch so gekommen, wie sie gekommen sind.

STANDARD: Was tun, damit kein Minimalkompromiss rauskommt?

Blümel: Würden wir uns in alle Richtungen absichern, dann hätten wir aus jeder Interessengruppe einen Vertreter geholt und gemeinsam in ein Kammerl gesperrt, dann kommt der kleinste gemeinsame Nenner heraus. Das ist nicht das, was die ÖVP braucht.

STANDARD: Ist diese "Evolution" der letzte Versuch, die ÖVP vor dem Abstieg zur Kleinpartei zu bewahren?

Blümel: Das ist so ein apokalyptischer Ansatz. Ich bin ja Kulturoptimist. Volkspartei heißt, die gesamte Breite der Bevölkerung in sich selbst abzudecken. Und damit natürlich eine gewisse Größe zu haben. Das heißt aber auch: Dass man die Breiten der Interessen intern ausdiskutiert.

STANDARD: Apokalyptisch klang zuletzt Ihr Ex-Chef, als er vor einer düsteren Zukunft warnte. Haben Sie Verständnis für seinen Schritt?

Blümel: Es war für ihn eine schwierige Situation. Sein Entschluss ist zu respektieren. Jeder Mensch hat eine begrenzte Leidensfähigkeit. Aber die ÖVP hat gleichzeitig gezeigt, dass sie auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig ist, hat Krisenresistenz bewiesen.

STANDARD: Die FPÖ ist in den Umfragen vorne. Ist das ein neuer, alter Partner für die Volkspartei?

Blümel: Wir haben jetzt eine Koalition. Ich gehe davon aus, dass diese vier Jahre halten wird.

STANDARD: Und das heißt?

Blümel: Die ÖVP hat noch nie irgendeine Partei ausgegrenzt.

STANDARD: Sind die Blauen nach der im September anstehenden Wahl in Vorarlberg eine Option?

Blümel: Zuerst wird gewählt, dann gezählt, dann gibt es das Ergebnis.

STANDARD: Eine echte Politikerantwort. Bei Ihnen selbst ist der Leidensdruck noch nicht so groß?

Blümel: Ich freue mich auf den Start der "Evolution". Das ist das langfristige Projekt, das ich auch als mein Baby empfinde. Die Aufbruchstimmung ist greifbar. (Peter Mayr, Karin Riss, DER STANDARD, 4.9.2014)