Wien - Noch dröhnt der Baulärm über dem Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern: Bagger rollen über provisorische Straßen, alles ist mit einem Staubfilm überzogen, Gitter statt Büsche säumen die Wege. Inmitten des Chaos leuchtet eine Fassade weiß: Hier bezogen die Mitglieder der Baugruppe "Jaspern" am Donnerstag ihre Wohnungen im ersten fertigen Haus der neuen Seestadt.
Die Mitglieder der Baugruppe "Jaspern" rund um Architekt Fritz Oettl konnten den Wohnblock von Anfang an nach ihren eigenen Wünschen mitgestalten. Belastend sind jedoch noch Lärm, Staub und die fehlende Infrastruktur. Bis die ersten Geschäfte einziehen, versorgt etwa ein temporärer Greißler die Bewohner. In einem halben bis dreiviertel Jahr sollte zumindest in der neu besiedelten Ecke des Areals das Gröbste vorbei sein, dann wird es auch eine Apotheke im Erdgeschoß des Hauses geben und der Gemeinschaftsraum fertiggestellt sein.
420 Wohneinheiten bis Ende 2014 fertig
Bis Ende des Jahres werden 420 Wohneinheiten fertig, rund 900 Menschen werden hierher übersiedeln. Bis dahin versucht die Stadt mit dem Stadtteilmanagement auf die Bedürfnisse der neuen Bewohner einzugehen.
Auch Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) hat es zur feierlichen Wohnungsübergabe in den Nordosten Wiens verschlagen. Ganz reibungslos sei das Langzeitprojekt bisher nicht verlaufen. "Schwierig war vor allem die Größe des Stadtentwicklungsprojekts, die Seestadt ist immerhin so groß wie der 7. und der 8. Bezirk zusammen. Wir können daher nicht nur Wohnungen hierherbauen, sondern müssen auch die verkehrstechnische und soziale Infrastruktur bereitstellen", sagte der Stadtrat.
Man habe von internationalen Vorgängern gelernt: "Das ist sicher die einzige europäische Baustelle, wo schon die Bauarbeiter mit der U-Bahn zur Arbeit fahren können", sagt Ludwig. Derzeit fährt allerdings nur jede zweite U2 tatsächlich bis zur Endstation Seestadt. Bis 2030 wird sich das ändern - dann sollen auf dem 240 Hektar großen Areal 10.500 Wohnungen entstanden sein und 20.000 Menschen wohnen.
Alle Wohneinheiten bis Ende des Jahres vergeben
Das Interesse sei jedenfalls groß. Alle Wohneinheiten, die bis Jahresende fertig werden, seien schon vergeben. Gebaut werden sowohl freifinanzierte, geförderte oder eben von Baugruppen entworfene Wohneinheiten.
Vom Flughafen über die "Rumpelpiste" zur "Seestadt"
Nostalgikern wird wohl das Herz geblutet haben: Am 3. Juli 2009 wurde mit dem Abriss der Rollbahn des ehemaligen Flugfelds Aspern in Wien-Donaustadt begonnen. Spätestens damit endete die fast 100-jährige Geschichte des einst modernen Luftverkehrsknotenpunkts. Statt Flugzeugen bevölkern nun die ersten Wiener das Areal, das nun das Stadtentwicklungsprojekt "Seestadt" Aspern beherbergt.
1912 Flughafen eröffnet
Mit anvisierten 20.000 Wohn- und genauso vielen Arbeitsplätzen im Vollausbau ist das 240 Hektar umfassende Projekt derzeit Wiens größtes Stadtentwicklungsgebiet. Mit Superlativen konnte das Gelände allerdings bereits vor Jahrzehnten aufwarten. Im Sommer 1912 wurde dort ein Flughafenkomplex eröffnet, der zeitweilig als größter Airport des Landes fungierte. Nach wechselvoller Geschichte wurde das Gelände 1955 vom Österreichischen Aero-Club übernommen und für Sportflugzeuge genutzt.
Ab diesem Zeitpunkt drehten auf dem Areal auch schnelle Autos ihre Runden: Am 28. April 1957 fand am Stadtrand Wiens das erste internationale Autorennen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Die legendäre "Rumpelpiste" war in der Folge bis 1977 Spielwiese von Legenden wie Niki Lauda und Jochen Rindt.
1977 Flugfeld endgültig geschlossen
Aspern hatte als Fliegerstützpunkt nicht zuletzt wegen des sukzessiven Ausbaus von Wien-Schwechat zunehmend an Bedeutung verloren. 1977 wurde das Flugfeld endgültig geschlossen. Auf einem Teil des Platzes siedelte sich Anfang der 1980er-Jahre General Motors mit einem Motorenwerk an, das Flughafengebäude und der Kontrollturm fielen Abrissbirnen und Bulldozern zum Opfer. Die Fliegerclubs siedelten großteils ab. Ab 1988 nutzte der ARBÖ die Anlage als Verkehrsübungsplatz.
Erste Stadtentwicklungspläne gab es seitens der Gemeinde bereits in den frühen 1990er-Jahren. Damals war von 10.000 Bewohnern und 6.000 Arbeitsplätzen die Rede. Im Windschatten der EU-Osterweiterung, des erwartbaren Wachstums der Bundeshauptstadt und der Entscheidung, das Straßen- und U-Bahn-Netz - konkret die U2 - in den Donaustädter Stadtteil zu führen, vergrößerte sich die Dimension des Vorhabens jedoch deutlich. Die U-Bahn hält nun auch tatsächlich bereits in der "Seestadt".
Nach derzeitigem Stand sollen ab 2030 20.000 Menschen am ehemaligen Flugfeld leben und ebenso viele dort arbeiten. Die ersten Wohnungen wurden im September übergeben. Als Herzstück des Retorten-Stadtteils wurde ein 50.000 Quadratmeter großer See konzipiert. (APA, 4.9.2014)