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Hallo Moskau? Beim Staatsbesuch in Finnland vertraute Michail Gorbatschow auf den "Cityman" von Nokia.

Foto: Picturedesk/Ulander

Es war 1989, als just der Russe Michail Gorbatschow zu einem Geburtshelfer des finnischen Wirtschaftswunders wurde. Finnlands Präsident Mauno Koivisto war es gelungen, dem damaligen Kreml-Chef bei einem Treffen in Helsinki eine Art Ziegelstein mit Antenne in die Hand zu drücken. Es war ein Nokia Cityman, mit dem Gorbatschow vor laufenden Kameras in Moskau anrief. Der Legende nach feierte man den Coup in der Nokia-Zentrale mit einer ausufernden Party.

Ein paar Jahre später gab es die Sowjetunion nicht mehr und für Finnland wenig Grund zu feiern. Politisch war Helsinki von einer Art mildem Vasallenstatus befreit. Für die Wirtschaft bedeutete es das Ende jahrzehntelanger Billigimporte von Energie und Rohstoffen sowie den Wegfall eines geschützten Exportmarkts für praktisch alles, was die Industrie produzierte. Die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren war Fakt: Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent, Firmenkonkurse waren Legion, Staat und Bevölkerung standen vor einem Schuldenberg.

1340 Kilometer Grenze

Und jetzt bedrohen die Ukraine-Krise und die damit einhergehenden, beiderseitigen Sanktionen die Volkswirtschaft Finnlands wie wenige andere EU-Staaten. Die Situation ist für das 5,4-Millionen-Volk nicht neu: Das Schicksal Finnlands ist auf vielfache Weise eng mit jenem Russlands verknüpft. Finnland war von 1809 bis 1917 Teil des Zarenreiches, gegen die Sowjetunion führte es zwischen 1940 und 1944 zwei Kriege. Heute hat es eine rund 1340 km lange Grenze zum östlichen Nachbarn.

Nach der "Wende" schien Finnland, dem in Schweden früher das Attribut fattig (verarmt) angehängt wurde, wieder einmal am Ende. Dann setzte der Handy-Boom ein. Der Aufstieg des ehemaligen Gummi- und Kabelfabrikanten Nokia schien unbegrenzt. Auf politischer Ebene geschah eine folgenschwere Weichenstellung: Nachdem Österreich und Schweden in Brüssel um Aufnahme in die Europäische Union angesucht hatten, entschloss sich auch Helsinki zu diesem Schritt. 1995 wurde Finnland - mit klarer Volksmehrheit im Rücken - in die EU aufgenommen.

Die Finnen erwiesen sich als wahre Europa-Enthusiasten. Seit dem 19. Jahrhundert eine extrem nationalbewusste Gesellschaft, war man nun bemüht, innerhalb Europas zum Musterschüler zu werden. Der Erfolg gab ihnen recht: Nummer eins in der Pisa-Studie, Nummer eins beim Korruptionsfreiheitsindex, erfolgreiche Pop- und Kino- Exporte. Sogar die schwierig zu erlernende Landessprache erfreute sich, vor allem in Deutschland, plötzlicher Beliebtheit bei den Studenten.

Profilieren konnte sich Finnland auch auf diplomatischer Ebene: Während der ersten EU-Präsidentschaft Finnlands im Jahr 1999 war es Regierungschef Paavo Lipponen, der den Beitrittsprozess der Türkei einfädelte.

Der als Staatspräsident blasse Karrierediplomat Martti Ahtisaari vermittelte eine dauernde Friedenslösung für die indonesische Provinz Aceh, führte den Kosovo - wie in einem Buch seines Ex-Diplomatenkollegen Max Jacobson bestätigt - zu dem im Westen bereits vorher ausgehandelten Ergebnis. Dafür erhielt Ahtisaari zwei Jahre später den Friedensnobelpreis.

Wieder in der Stunde null

Dann verschlief das erfolgsverwöhnte Nokia-Management die Smartphone-Revolution. Das Unternehmen verlor innerhalb weniger Jahre die Marktführerschaft und seinen Nimbus. Die Finanzkrise von 2008/09 versetzte den großteils auf Pump lebenden Unternehmen und Privathaushalten einen erneuten Dämpfer. Seither will die finnische Wirtschaft nicht mehr so recht auf die Beine. Aus den Trümmern des Nokia-Imperiums erwuchsen nur wenige erfolgreiche Mittelunternehmen.

Auch sicherheitspolitisch ist man wieder in der Stunde null nach dem Fall des Systems des Kalten Krieges in Europa angelangt. Das jahrzehntelang politisch tote Thema Nato-Mitgliedschaft ist wegen des Ukraine-Konflikts und militärischer Muskelspiele Russlands im Ostseeraum wieder Gegenstand politischer Debatten.

Ende August fühlte sich Regierungschef Alexander Stubb bemüßigt, eine Markierung zwischen Moskauer Regime und russischer Bevölkerung und Wirtschaft zu ziehen: "Wegen des Vorgehens des Staates muss man weder alles Russische, noch die in Finnland lebenden Russen noch die russische Sprache verurteilen", sagte der als "EU-Nerd" verschriene Ministerpräsident in einem Fernsehinterview. (Andreas Stangl, DER STANDARD, 6.9.2014)