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Der Gesetzgeber verlangt von Geschäftsführern, die Zukunft richtig vorauszusagen

Foto: dpa/Rumpenhorst

Wien - Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist in diesem Jahr nicht gestiegen, doch zahlreiche Betriebe befinden sich angesichts des schwachen Wachstums in einer angespannten Finanzlage. Ob sie diese schadlos überstehen können, ist meist unklar.

Genau eine solche Zukunftsprognose verlangt der Gesetzgeber den Geschäftsführern österreichischer Kapitalgesellschaften ab, wenn das sogenannte buchmäßige Eigenkapital negativ ist. Wenn also die in der Bilanz befindlichen Schulden und Rückstellungen das Vermögen der Kapitalgesellschaft übersteigen, sollen die Alarmglocken in der Chefetage schrillen.

In dieser heiklen Situation ist in § 225 Abs 1 Unternehmensgesetzbuch (UGB) geregelt, dass der Geschäftsführer im Anhang, der Teil des Jahresabschlusses einer Kapitalgesellschaft ist, dem potenziellen Bilanzleser erläutern muss, ob auch eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts vorliegt.

Schleunigst zum Handelsgericht

Wenn der Geschäftsführer eine solche Überschuldung bejahen würde, sollte er sich schleunigst auf den Weg zum Handelsgericht machen, um - möglichst zeitgerecht - den Insolvenzantrag zu stellen. Sonst macht er sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar.

In der Praxis versucht daher der Geschäftsführer, dem Bilanzleser genau das Gegenteil darzustellen: nämlich die Tatsache, dass zwar rein buchmäßig eine Überschuldung vorliegt, aber dies insolvenzrechtlich betrachtet eben gerade nicht der Fall sei.

Noch relativ leicht mit einer solchen Argumentation tut sich dabei der Geschäftsführer, wenn im Vermögen der Gesellschaft große, relativ kurzfristig realisierbare stille Reserven enthalten sind. Dies könnten vor vielen Jahren erworbene Beteiligungen, Immobilien bzw. sonstige Wertpapiere sein, die aufgrund einer vergangenen positiven Marktentwicklung deutlich mehr wert sind als die zu Anschaffungskosten bilanzierten Buchwerte in der Bilanz.

Bei der Mutter betteln

Bestehen solche stillen Reserven nicht, muss aber der Geschäftsführer dann schon zur Muttergesellschaft "pilgern" und um eine Nachrangigstellung von bestehenden Schulden gegenüber der Muttergesellschaft (oder auch bei anderen verständnisvollen Gläubigern) ersuchen. Eine sogenannte Nachrangigstellung seitens der Gläubiger bedeutet, dass eine Befriedigung dieses Gläubigers im Liquidationsfall erst nach allen anderen Gläubigern erfolgt bzw. die Befriedigung dieses Gläubigers bei Fortbetrieb erst nach Beseitigung des negativen Eigenkapitals erfolgen muss.

Schon härter werden die Verhandlungen, wenn die Muttergesellschaft oder die Konzernobergesellschaft eine sogenannte Patronatserklärung abgeben sollen.

Wenn eine (Mutter-)Gesellschaft im Rahmen einer schriftlichen Patronatserklärung verbindlich zusichert, dafür Sorge zu tragen, dass die (Tochter-)Gesellschaft ihren finanziellen Verpflichtungen jederzeit nachkommen kann, liegt auch in diesem Fall keine insolvenzrechtliche Überschuldung vor.

Glaskugel zur Hand nehmen

Und wenn sowohl die Gesellschafter als auch die Gläubiger keine Bereitschaft zeigen, der Kapitalgesellschaft mit den oben beschriebenen Maßnahmen unter die Arme zu greifen, muss der Geschäftsführer von Gesetzes wegen die Glaskugel zur Hand nehmen und die Zukunft vorhersagen.

Der technische Ausdruck für die bilanzrechtliche Glaskugel heißt Fortbestehensprognose. Sie hat im Ergebnis eine begründete Aussage darüber zu treffen, ob das Unternehmen in Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine geschäftlichen Aktivitäten unter Einhaltung seiner Zahlungsverpflichtungen fortführen kann.

Kurz- und Langfristprognose

Es sind dazu eine Primärprognose und eine Sekundärprognose zu erstellen. Die Primärprognose soll die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens der nächsten sechs bis zwölf Monate anhand eines kurzfristigen Finanzplans dokumentieren. Die Sekundärprognose muss für einen längeren Zeitraum erstellt werden (drei Jahre) und umfasst Plan-Gewinn-Verlust-Rechnungen, Planbilanzen und eine Plan-Cashflow-Rechnung. Aus diesem Zahlenwerk und einer ausführlichen verbalen Begründung sollte sich die nachhaltige Trendumkehr ("Turnaround") des Unternehmens ergeben.

Für die Erstellung einer Fortbestehensprognose hat sich der Geschäftsführer sehr intensiv mit der Zukunft des Unternehmens zu befassen. Nur dann, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem Weiterbestand des Unternehmens gerechnet werden kann, ist es einem sorgfältigen Geschäftsführer zu empfehlen, im Rahmen der Anhangsangabe gemäß § 225 Abs 1 UGB eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu verneinen. (David Gloser, DER STANDARD, 8.9.2014)