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Unteroffizier Stefan Dorsch (Frida-Lovisa Hamann, o.) dreht durch, weil er die Geschichte des somalischen Piraten Tofdau (Stefanie Reinsperger) nicht mehr hören kann.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Wien - Oliver Peller, Hauptfeldwebel der deutschen Bundeswehr, wird mit dem Unteroffizier Stefan Dorsch in einem Patrouillenboot in die "Regenwälder Afghanistans" geschickt, um dort den verrückt gewordenen Oberstleutnant Karl Deutinger ausfindig zu machen und zu liquidieren. Er hatte im Wahn zwei Kameraden seiner Spezialeinheit umgebracht.

Eine Geschichte, die nach den Mitteln des zeitgenössischen Theaters schreit (weil: Sie lotet die Grenzen der Darstellbarkeit auf der Bühne aus). Als Film ist sie wohlbekannt: In Apocalypse Now erzählte Francis Ford Coppola 1979 - nach Motiven aus Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis - von einer ähnlichen Militärmission während des Vietnamkrieges. Wolfram Lotz (33), gefeierter Nachwuchsdramatiker aus dem Schwarzwald, hat den Stoff aufgegriffen und weitergedreht.

In die globalisierte Welt von heute transferiert, leuchtet sein Stück Die lächerliche Finsternis einen Endpunkt aus: den Endpunkt internationaler Politik, den Endpunkt des Verstehens des Fremden, der "exotischen" Welt jenseits des mitteleuropäischen Wissens- und Vorstellungshorizonts. Aber um nichts weniger auch das Nichtverstehen des allernächsten Kollegen im Boot.

Regisseurinnen und Regisseure können über solche sich dem simplen Bebilderungstheater vehement widersetzende Stücke nur jubilieren. Anhand von (nicht selten himmelschreienden) Behauptungen, die Wolfram Lotz in seinem Text setzt, muss sich das Theater im Kleinen immer wieder neu erfinden. Eine Herausforderung, für die Lotz in Wien seit seinem Stück Einige Nachrichten an das All (Akademietheater 2012) bekannt ist; darin schildert er auf überbordende Weise das Zusammenhanglose der Welt.

Mit Die lächerliche Finsternis nun hat der tschechische Regisseur Dusan David Parízek zum Saisonauftakt am Akademietheater ein Meisterstück hinterlegt. Ähnlich wie in Roland Schimmelpfennigs Migrationsparabel Der goldene Drache macht auch hier das Theater einen weiten Bogen um die behaupteten Realitäten und erzielt aus dieser Distanz seine größte Wirkung.

Vor uns steht an der Rampe mit Holzwand eine Frau in Trainingsanzug und blondem, zum wuscheligen Knödel gebundenem Haar (Stefanie Reinsperger) und behauptet, sie sei "ein schwarzer Neger aus Somalia". Ihre in breitem Wienerisch gehaltene Rede als ein verurteilter Pirat, ist Teil I des Stücks. Eine Art Prolog, der auf (ab)sichtlich unglaubwürdige Weise den irgendwo in der Ferne unterdrückten Entwicklungslandangehörigen eine Stimme gibt.

Akademischer Pirat

Mit seinem Freund Tofdau habe der studierte Pirat (Mit Abschluss an der Hochschule Mogadischu! Finanziert vom Islamistischen Studienwerk!) ein Frachtschiff geentert. Sie hatten keine andere Wahl, denn das Meer vor der Küste sei leergefischt gewesen von internationalen Fangflotten. Stefanie Reinsperger, neu im Ensemble, leitet dergestalt mit existenziell bebender Kraft grandios in den Abend ein.

Nichts ist fürderhin, in Teil II, der Apocalypse Now-Mission, wofür man es hält. Alle Männerrollen werden von Frauen gespielt. So dringen Catrin Striebeck mit Schnauzbart und Haarzopf (als Hauptfeldwebel) und Frida-Lovisa Hamann (als Unteroffizier) ins Innere Afghanistans vor. Der Hindukusch soll dort ein Fluss sein und kein Gebirge (Uns hier in Europa kann man ja alles erzählen!). Afghanistan habe Regenwälder, und dort mitten im Dschungel liegt in Lotz' Stück auch der Balkan und sein Krieg. Will heißen: Die Krisenherde sind für die europäischen Nachrichtenkonsumenten austauschbar geworden.

Das ist nichts Neues, doch wie Lotz diesen auf fast kindlich-hilflose Weise fehlgeleiteten weltpolitischen Zusammenhalt arrangiert, das ist bezwingend in seinem Mut zur Naivität und Härte zugleich. Er gestattet dem Theater eine naive Position, die Regisseur Parízek fabelhaft nützt. Er entwickelt einen heiteren Analog- und Unplugged-Abend, der sich der Gattung des Textes, eigentlich ein Hörspiel, besinnt: Livegeräusche und Gesang des grandiosen Ensembles (Dorothee Hartinger bläst die Tuba). Tosender Applaus.

Dieser wurde tags zuvor den Letzten Tagen der Menschheit zuteil, die nach der Salzburg-Premiere im Juli am Burgtheater Einzug hielten. Die nun größere Bühne tat der Inszenierung Georg Schmiedleitners sichtlich gut. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 8.9.2014)