Brigitte Hipfl.

Wien - Wenn wir den gesellschaftlichen Stellenwert von Medien heutzutage verstehen wollen, reicht es nicht, uns nur mit medial vermittelter Information auseinanderzusetzen. Wir brauchen auch ein Verständnis der affektiven Dynamiken, die involviert sind.

Freilich kommt Information in einer Welt, in der, wie etwa Michael Hardt und Antonio Negri betonen, Dienstleistungen und der Umgang mit Information zum vorherrschenden ökonomischen Paradigma geworden sind, eine wichtige Rolle zu. Aber die so-genannte immaterielle Arbeit, mit der immaterielle Produkte wie Information und Wissen erzeugt werden, umfasst noch eine zusätzliche Dimension, die von Hardt/Negri als affektive Arbeit bezeichnet wird. Mit affektiver Arbeit sind Tätigkeiten gemeint, die affektive Zustände wie Behagen, Erregung oder Leidenschaft hervorbringen, regulieren oder verändern. Die Arbeitssoziologin Arlie Hochschild hat zum Beispiel schon vor mehr als dreißig Jahren die Arbeit von Flugbegleiterinnen als Gefühlsarbeit charakterisiert, da ein zentraler Bestandteil der Arbeit von Flugbegleiterinnen im Zeigen bzw. Unterdrücken von Gefühlen besteht, um bestimmte Effekte bei den Passagieren zu bewirken. Inzwischen wird die Befähigung zum Management affektiver Zustände, sei es in Form von sozialer und kommunikativer Kompetenz, der Kreation unvergesslicher Erlebnisse für Klienten und Klientinnen, oder der Schaffung von Erlebniswelten für Konsumenten und Konsumentinnen, bei fast allen Tätigkeiten nachgefragt.

Medien modulieren Affekte, Mediennutzung ist affektive Arbeit

Medien und Mediennutzung sind ebenfalls von diesen Entwicklungen betroffen, ja, mehr noch, sie sind ein geradezu konstitutiver Teil dieser Entwicklungen: Medien sind gesellschaftliche Institutionen, die Affekte modulieren. Was ist damit konkret gemeint? Nehmen wir als ein Beispiel das Realitätsfernsehen, das für Eggo Müller symptomatisch für die Entwicklung des Fernsehens zu einer Dienstleistungsagentur und zu einem Forum des Lifestyles ist. Sendungen wie "Austria’s next Topmodel" oder "Bauer sucht Frau" etc. fokussieren explizit auf die Wünsche bzw. affektiven Zustände der Teilnehmer/Teilnehmerinnen und führen spezifische Lebensformen vor, das heißt, spezifische Formen sich zu kleiden, sich zu bewegen, zu wohnen, mit anderen zu kommunizieren, des doing-gender usw.

Dieses Medienformat ist ein Beispiel unter vielen, in denen nicht nur dargestellt wird, was es heißt, unter spezifischen historischen Bedingungen zu leben, sie bringen auch zum Ausdruck, wie sich dies anfühlt. Die Analyse solcher Sendungen gibt uns Einblick in etwas, das der britische Kulturwissenschaftler Raymond Williams als Gefühlsstruktur bezeichnet hat. Gefühlsstruktur bezieht sich auf kollektive Vorstellungen, Erwartungen, Orientierungen, Ängste, Sorgen, Konventionen etc., die zu einer bestimmten Zeit via Medien zirkulieren, die Alltagskultur einer Gemeinschaft und damit auch das Reservoir dafür bilden, was uns auf individueller Ebene antreibt. Diese Gefühlsstruktur fungiert als eine Art Scharnier, das zwischen gesellschaftlichen Machtverhältnissen und –vorstellungen auf der einen Seite und subjektiven Vorstellungen, Zielen, Orientierungen und Praktiken auf der anderen Seite vermittelt.

Reality TV lebt vom Exponieren

Am Beispiel von Reality TV lässt sich schön erkennen, wie diese Vermittlung funktioniert und dass sie insbesondere auf affektiver Ebene stattfindet. Reality TV lebt davon, dass sich die Teilnehmer/Teilnehmerinnen an einer Sendung unter der Perspektive, damit zu wachsen, sich zu entwickeln, sich einer fast nicht meisterbaren Herausforderung zu stellen u.ä. freiwillig in eine Situation begeben, in der sie sich körperlich und psychisch exponieren und den Zuschauern/Zuschauerinnen zur Schau stellen. Dies ist gleichzeitig Ausdruck der gegenwärtigen ökonomischen Struktur unserer Konsumgesellschaft, in der Konsum durch die Herstellung von Produkten, die auf die Wünsche der Konsumenten/Konsumentinnen zugeschnitten sind, angekurbelt werden soll.

Um möglichst schnell und möglichst viele Informationen über die Konsumenten/Konsumentinnen zu erhalten, sollten diese von sich aus dazu bereit sein, Informationen über ihre Vorlieben, Wünsche, etc. preiszugeben sowie Einblicke ins Privatleben zu ermöglichen. Im Realitätsfernsehen wird genau diese Haltung und Praktik vorgeführt und eingeübt. Die hier zum Ausdruck kommende Gefühlsstruktur beinhaltet auch die zu Common Sense gewordenen Elemente neoliberalen Denkens, die in der Individualisierung und Privatisierung struktureller, gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen resultieren. Die daraus resultierende Rhetorik "sei deines eigenen Glückes Schmied" materialisiert sich im Reality TV in Konkurrenz-Settings, als ständige Arbeit an sich selbst, als make-over, als Teilnahme an Glücksspiel-ähnlichen Situationen mit der Hoffnung auf den großen, lebensverändernden Gewinn.

Ebene der Gefühlsstruktur

Die Zuschauer/Zuschauerinnen werden vom Realitätsfernsehen ebenfalls auf der Ebene der Gefühlsstruktur angesprochen. Ein Gutteil des Vergnügens an diesen Sendungen oder der Empörung über sie rührt daher, dass bestimmte Körper, Dinge bzw. Praktiken mit spezifischen Gefühlen verknüpft werden und zu emotionalen Reaktionen führen, die von Begeisterung, Berührt-Sein bis zu Ärger oder Abscheu reichen. Die Reaktionen der Zuschauer/Zuschauerinnen können sehr unterschiedlich ausfallen, was gleichzeitig heißt, dass die in den Medien zum Ausdruck kommende Gefühlsstruktur nie alle Menschen in gleicher Weise anspricht.

Medien sind Instanzen affektiver Arbeit, häufig unter ausbeuterischen Bedingungen

Am Beispiel des Realitätsfernsehens wird auch deutlich, dass die Teilnehmer/Teilnehmerinnen an solchen Sendungen affektive Arbeit leisten. Das Konzept von Reality TV beruht darauf, dass sich Freiwillige finden, die teilnehmen möchten. Aber im Unterschied zu den Moderatoren/Moderatorinnen oder den Kameraleuten werden die Hauptakteure der Sendung nicht entsprechend bezahlt; sie erhalten auch keine Anteile aus der erfolgreichen Vermarktung der Show. Für sie sind "15 minutes of fame" und die Chance auf eine möglicherweise ihr Leben verändernde Erfahrung der Antriebsmotor für die Teilnahme und die Unterwerfung unter die oft strapaziösen und emotional herausfordernden Produktionssettings. Aber es sind nicht nur die Teilnehmer/Teilnehmerinnen, die affektive Arbeit leisten, sondern auch die Zuschauer/Zuschauerinnen. So werden die Zuschauer/Zuschauerinnen zur Partizipation an der Sendung eingeladen – indem sie mit ihren Votings den Ausgang mitbestimmen oder sich mit Online-Kommentaren beteiligen. Dies ist ebenso affektive Arbeit, die freiwillig geleistet und nicht materiell entlohnt wird.

Reality TV ist nur ein Beispiel, an dem die Funktionsweise immaterieller und affektiver Arbeit nachvollziehbar wird. Wir werden ständig auf affektiver Ebene angesprochen und in der Folge zu bestimmten Handlungen aktiviert. All unsere Online-Aktivitäten (von Facebook bis zu Bloggen etc.) sind weitere Beispiele dafür. (Brigitte Hipfl, derStandard.at, 20.10.2014)