Na, das ist doch einmal eine bildungspolitisch neue Ansage! "Eines ist aber sicher: Das Gymnasium muss bleiben", dekretierte der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) im STANDARD. Das ist mit so einer apodiktischen Emphase gesagt wie: Die Sonne muss auch morgen wieder aufgehen. Weil ich das so will. Darum ist es ein Muss.

Ein Muss? Nein, bloß ein Satz aus dem Reliquienschrein der ÖVP. Diese Wortkette kommt seit Jahren aus den Mündern diverser ÖVP-Chefs: Da war Josef Pröll, der 2011 die Devise "Die Neue Mittelschule kommt, das Gymnasium bleibt" ausgab. Aber schon 2007 war es für Wilhelm Molterer "essenziell", dass das "Gymnasium erhalten bleibt". Und für Michael Spindelegger war das "unverzichtbare" Gymnasium ohnehin ein Liebhaberobjekt, dessen Bleiberecht, ja "Bleibemuss" er 2011, 2012, 2013, bis August 2014 immer wieder beschwor.

Allen gemeinsam: Das Gymnasium ist geblieben, sie als ÖVP-Chefs sind es nicht. Das könnte etwas bedeuten.

Reinhold Mitterlehner, der Neue an der ÖVP-Spitze, dürfte wissen, dass es eine verhängnisvolle Sackgasse ist, die Bildungsdebatte einzig vom Kulturkampf um das Gymnasium her zu denken. Entscheidend sind zuerst ganz andere Aspekte. Die neue OECD-Studie "Bildung auf einen Blick" hat ein paar hilfreiche Wegweiser parat.

Es ist eine besondere Ironie, dass ausgerechnet die "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung", die oft gescholten wurde, quasi als Geheimagent "der Wirtschaft" mit großangelegten Vermessungen von Schülern (Pisa), Erwachsenen (Piaac) und Lehrern (Talis) einzig die marktkonforme Zurichtung der Menschen in ökonomisch verwertbare Arbeitskräfte zu betreiben, nun wie einen roten Faden die soziale Dimension und den Aspekt der gesellschaftlichen Integration durch Bildung in die Studie einflicht.

Wenn OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría den Satz "Die größer werdende soziale Kluft zwischen gut und schlecht ausgebildeten Menschen - und die Gefahr, dass Letztere von den gesamtgesellschaftlichen Vorteilen der Bildungsexpansion ausgeschlossen werden - bedrohen die Gesellschaft als Ganzes" schreibt, dann verlieren die altbekannten Rufe nach mehr Bildungsgerechtigkeit schnell den moralinsauren Unterton, der ihnen gern unterstellt wird. Denn eines ist mittlerweile hinreichend bekannt und belegt: Mehr Bildungschancen für alle nehmen niemandem etwas weg. Mehr höhere Bildung für alle bringt allen etwas und stärkt Gesellschaften nicht nur ökonomisch. Kaum etwas bedroht heute Gesellschaften so sehr wie die inneren ABC-Fliehkräfte der Abgehängten, der Blockierten, der Chancenlosen, derer, die genau sehen, dass es noch immer wirkmächtige, unausgesprochene soziale Platzanweiser gibt. Dass im aufstiegsschwachen Österreich - gegen den Trend in den meisten OECD-Staaten - besonders Frauen aus dem sozialen Bildungslift nach oben hinausgedrängt werden, ist besonders provokant. Es deutet auf alte Geschlechterungerechtigkeiten in den Familien, der Gesellschaft und im Bildungsbereich hin, die schleunigst ausgeglichen werden müssen.

Vor allem ist eines immer klarer: "It's the economy, stupid!" (Auf die Wirtschaft kommt's an, Dummerchen!) von Bill Clintons Wahlstrategen James Carville als Devise für die 1990er-Jahre ist zwei Jahrzehnte später auch in Österreich überholt: It's education, stupid! Auf die Bildung kommt es an. Für alle. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 10.9.2014)