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Als Führungskräfte von Netflix vor ein paar Monaten nach Paris kamen, hatten sich die Widersacher des US-Videodienstes schon in Stellung gebracht. Auf die amerikanischen Manager, die die Expansion des Unternehmens in Europa vorbereiten sollten, wartete ein offener Brief einer Gruppe französischer Filmproduzenten. Darin warnten die Filmschaffenden vor einer "Implosion unseres kulturellen Modells".

Interesse an älteren Inhalten

Netflix reagierte mit einer Charme-Offensive auf die Animositäten. Bei einer Reihe von Treffen versuchten die Topmanager, Vertreter der französischen Regierung mit zahlreichen Versprechen zu umgarnen. Sie planten, mit dem Marketing des Netflix-Dienstes Millionen von Euro in den französischen Markt zu stecken, legten sie dar.

Sie seien an älteren französischen Kinofilmen und Fernsehsendungen interessiert. Und schließlich wollten sie eine eigene Fernsehserie in französischer Sprache im Land selbst drehen, boten sie an, wie Teilnehmer an diesen Unterredungen berichten. "Hallo, schaut mal, wir sind nicht der Teufel", habe die Botschaft gelautet, die die Netflix-Gesandtschaft vermitteln wollte, sagt einer der damals bei den Treffen Anwesenden.

Europa ist skeptisch

Netflix bereitet sich auf eine der größten internationalen Expansionen in der Firmengeschichte des Video-on-Demand-Anbieters vor. In diesem Monat wollen die Kalifornier in sechs westeuropäischen Ländern ihren Dienst aufnehmen. Doch in Europa hat sich die Stimmung gegen Internetgiganten aus Amerika gewendet. Den US-Webunternehmern schlägt Skepsis entgegen.

Der europäische Binnenmarkt und die große Beliebtheit des Internets bei den Europäern hat in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass der Alte Kontinent US-Technologieunternehmen wie Google und Amazon magnetisch anzieht. Doch je größer und einflussreicher die neuen Riesen aus Amerika werden, desto erbitterter leisten ihnen europäische Branchenaufseher, Politiker und einheimische Unternehmer Widerstand. Gegen sie ins Feld geführt werden Themen wie Datenschutz, Besteuerung und Wettbewerbsrecht.

Brückenkopf

Für Netflix steht viel auf dem Spiel. Das Unternehmen setzt stark auf die internationale Ausweitung seiner Geschäfte, um die Abermillionen von Abnehmern mit Breitbandanschluss zu erreichen, die notwendig sind, um die wachsenden Kosten für die Inhalte verteilen zu können. Wenn die Firma demnächst in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Belgien und Luxemburg den Schalter anwirft, dürften sich die Verluste aus dem internationalen Streaming-Geschäft vom zweiten auf das dritte Quartal fast verdreifachen und umgerechnet knapp 32,5 Millionen Euro erreichen.

In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Netflix zwar einen Brückenkopf in Europa erobert und sich in Großbritannien, den Niederlanden und im hohen Norden eine Fangemeinde gesichert. Aber angesichts seines weiteren Vordringens auf den Kontinent wird der Videoverleiher jetzt mit denselben Bedenken über Datenschutz und Steuerfragen konfrontiert, die vielen Unternehmen aus den USA in Europa entgegenschlagen.

"Der Menschenfresser"

Am vehementesten fällt die Gegenwehr bisher in Frankreich aus. Dort erfreuen sich die Hamburger von McDonald's und amerikanische Fernsehsendungen zwar großer allgemeiner Beliebtheit. Aber die Politiker des Landes werden nicht müde, den schleichenden Einfluss zu beklagen, den die amerikanische Kultur und Geschäftswelt auf Frankreich ausüben. Im vergangenen Frühjahr hob ein französisches Magazin den Chef von Netflix, Reed Hastings, auf sein Titelblatt und verlieh ihm den Beinamen "Der Oger".

Um den europäischen Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen, hat sich Netflix aufs Hofieren verlegt. Seit mehr als neun Monaten machen Vertreter der Firma Branchenaufsehern, Datenbeauftragten und politisch Verantwortlichen quer über den Kontinent hinweg ihre Aufwartung. Mit einer ganzen Reihe von Produzenten und Urhebergesellschaften, die über die Verwertungsrechte wachen, wurden Lizenzierungsgespräche eingeleitet. Und im Juni flog Netflix ein Kontingent an Journalisten aus Frankreich, Deutschland und Belgien für Interviews und eine Besichtigung der Konzernzentrale nach Los Gatos in Kalifornien.

Ebenfalls im Juni bezog die Firma ihre neue Europa-Zentrale in Amsterdam. In den Büros, deren Wände mit Bildern aus Netflix-Shows übersät sind, arbeiten neben Chefjustiziar David Hyman nach etlichen Neueinstellungen nun mehr als ein Dutzend Mitarbeiter. Hyman ist mit seiner ganzen Familie für einen einjährigen Abstecher nach Europa gezogen.

"Jeder Markt rund um den Globus hat seine eigenen Nuancen", meint ein Netflix-Sprecher. "Die Herausforderung für uns besteht darin, eine große globale Firma zu werden und die Nuancen jedes Markts wirklich zu verstehen."

Die Franzosen knacken

Dabei hat sich Frankreich als harte Nuss erwiesen. Der französische Staat fördert die Film- und Fernsehproduktion wie kaum ein anderes Land auf der Welt. Fernsehsender und Medienunternehmen sind verpflichtet, in heimische Inhalte zu investieren und Kultursteuern zu entrichten - eine Pflicht, die häufig mehr als 10 Prozent der Gesamteinnahmen verschlingt.

Doch das staatliche Fördersystem ist stark unter Druck geraten. Da mehr Kanäle und Optionen, Sendungen und Filme online zu schauen, angeboten werden, sinken die traditionellen Fernseheinnahmen und damit die Mittel, die der staatlichen Förderung zur Verfügung stehen. Und französische Sender wie Canal Plus von Vivendi laufen dagegen Sturm, in ein System gezwungen zu werden, dem ausländische Wettbewerber nicht angeschlossen sind.

Umgehung der Kulturabgaben

Gleich zu Beginn der Treffen in Frankreich hatte Netflix klar gestellt, die Firma werde sich außerhalb des Landes niederlassen und damit die französischen Kulturabgaben umgehen. Schließlich darf in Europa von einem Land in ein anderes gesendet werden, solange der Anbieter über inländische Inhaltslizenzen verfügt. "Wir haben versucht, sie davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, ihre Zelte in Frankreich aufzuschlagen. Aber viel konnten wir dabei nicht ausrichten", berichtet ein Vertreter der französischen Regierung.

Die damalige Ministerin für Kultur und Kommunikation, Aurélie Filippetti, versuchte es daraufhin mit Druck von höchster Ebene. Sie wendete sich an die Medien und wetterte, Netflix könnte sich nicht als "blinder Passagier" einschleichen. Die Amerikaner müssten sich den französischen Richtlinien beugen, forderte Filipetti, die Ende August ihren Rücktritt einreichte.

Zugeständnis

Das seien alles Missverständnisse konterten die Netflix-Manager in Treffen, die einberufen wurden, um die Zweifel zu zerstreuen. Netflix habe dazu beigetragen, das Publikum für inländische Inhalte zu gewinnen, brachten die Führungskräfte vor. Sie versprachen den Offiziellen außerdem, das Unternehmen würde sich freiwillig an die so genannte französische Filmchronologie halten. Ihr zufolge können Dienste wie Netflix Filme erst drei Jahre nach deren Erscheinen im Kino zeigen.

Dieses Zugeständnis dürfte den Managern nicht schwer gefallen sein, da Netflix ohnehin überwiegend ältere Streifen im Angebot hat. Im Frühjahr pirschten sich die Firmendelegierten dann an französische Produzenten heran, um mit ihnen über die Schaffung einer französischen Fernsehserie zu sprechen.

"Sie haben erkannt, dass sie das tun mussten, um den französischen Markt für sich zu gewinnen", meint Produzent Pascal Breton. Seine Firma wird die achtteilige Polit-Serie "Marseille" für Netflix realisieren, die in der französischen Hafenstadt spielt. Dass auf Englisch gedreht würde, sei "nicht einmal diskutiert worden", sagt Breton.

Lockmittel

Man suche immer noch nach Wegen, um Unternehmen wie Netflix ins Land zu locken, erzählen französische Regierungsvertreter. Eine Idee sei es, dabei die Netzneutralität als Hebel zu nutzen. Bandbreitenstarken Betreibern wie Netflix solle im Gegenzug zur inländischen Kulturfinanzierung Vorzugszugang eingeräumt werden. Es bringe nichts, Unternehmen wie Netflix zu verdammen, lenkte der neue französische Kulturminister Fleur Pellerin vor kurzem in einem Radiointerview ein.

Konkurrenz

Das Konkurrenzgerangel der Videodienste untereinander hat sich unterdessen intensiviert. Maxdome, die Online-Videothek von ProSiebenSat.1, hat sich in der vergangenen Woche die Rechte für mehrere US-Serien zugelegt, darunter etwa "Californication" von Showtime. In Frankreich ist die Canal-Plus -Tochter CanalPlay in die Offensive gegangen.

Der französische Konkurrent von Netflix mit 500.000 Abonnenten wird seinen Dienst um eine Funktion zum Offline-Videokonsum erweitern und sein Angebot an französischen Fernsehserien und Filmen ausbauen, um seine heimischen Wurzeln zu betonen. "Wir erarbeiten ein ganzes Spektrum an Verbesserungen", verspricht Rodolphe Belmer, die Nummer zwei in der Führung von Canal Plus. "Eine einzige Fernsehserie zu produzieren, macht noch lange keinen Franzosen aus dir." (derStandard.at/wsj.de, Sam Schechner, Mitarbeit: Neetha Mahadevan, 10.09.2014)