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US-Präsident Barack Obama Anfang September: von der Unterschätzung des "Islamischen Staats" keine Rede mehr.
Manchmal hängen Zitate an einem Politiker, als wären sie Mühlsteine. Barack Obama wird schon oft bereut haben, was er im Winter über die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) sagte. "Die Analogie, derer wir uns bedienen, und ich denke, sie ist akkurat", plauderte der Präsident aus dem Nähkästchen des Weißen Hauses, "ist die, dass eine Schülermannschaft nicht gleich Kobe Bryant wird, wenn sie sich die Trikots der Lakers überstreift." Die Lakers aus Los Angeles, mehr als ein Club, nämlich eine Legende des Basketballs. Kobe Bryant, einer ihrer ganz Großen.
Man müsse unterscheiden zwischen den Fähigkeiten eines Osama Bin Laden, zwischen dem Netzwerk Al-Kaida, das Anschläge auf dem amerikanischen Festland plane, und nahöstlichen Jihadisten, die sich in lokalen Machtkämpfen aufreiben, hatte er dem New Yorker im Jänner gesagt. Nun muss ausgerechnet er begründen, warum die IS eine so akute Bedrohung darstellt, dass ihm nichts anderes übrig bleibt als eine Ausweitung der Luftschläge.
Angesichts der Vorgeschichte wirkt der Präsident fast zwangsläufig wie einer, der gegen seine inneren Überzeugungen handelt, zumindest gegen die früheren. Sieht man es wohlwollender, gibt er gerade eine Kostprobe jenes schnellen Pragmatismus, dessen sich Amerikaner gemeinhin rühmen, der aber immer seltener anzutreffen ist zwischen den festgefahrenen Parteienfronten der Hauptstadt. Zwingen unvorhersehbare Ereignisse zur Wende, wirft das Land das Steuer herum, so war es schon immer.
Stimmungsumschwung
Diesmal sind es grauenvolle Videobilder aus der Syrischen Wüste, die einen Stimmungsumschwung bewirken. Bevor die Journalisten James Foley und Steven Sotloff enthauptet wurden, hatte knapp die Hälfte der Amerikaner die Offensive der Air Force gegen IS noch abgelehnt. Seit dem barbarischen Doppelmord sind 70 Prozent dafür.
Nur ändert es nichts daran, dass Obama im Grunde gegen sich selbst argumentiert, gegen vieles, was er früher an Einwänden vorgebracht hatte. Als sein Kabinett 2012 über Waffenlieferungen an die syrische Opposition diskutierte, war er derjenige, der am heftigsten bremste - Hillary Clinton, damals Chefin des State Department, hat es ihm nachträglich aufs Butterbrot geschmiert. Den Wirren des Nahen Ostens hätte er am liebsten den Rücken gekehrt.
Der Irak war für ihn Vergangenheit, ein Paradebeispiel für verschleuderte amerikanische Ressourcen, während die Zukunft in China, Korea, Vietnam lag. Sich auf die glatte Rutschbahn des Syrienkonflikts zu begeben, das hätte nur wieder Amerikas Kräfte gebunden, es behindert bei seinem Schwenk nach Asien.
In den Thinktanks hatten es die Strategen von Rang lange kaum anders gesehen als Obama. Der 44. Präsident, hieß es, werde in zwei, drei Dekaden daran gemessen, ob es ihm gelang, das Verhältnis zum aufstrebenden China zu ordnen - und nicht an der Ordnung im Vorderen Orient.
Akute Gefahr als Begründung
Und nun muss ausgerechnet Obama um Geduld für einen bewaffneten Einsatz bitten, von dem seine Ratgeber schon jetzt sagen, dass er kaum enden wird in den gut zwei Jahren, die ihm noch im Amt bleiben. Er muss die Bombenkampagne begründen mit einer akuten Gefahr, die er einst selbst nicht also solche eingestuft hatte. Das alles ist viel verlangt von einem Politiker, der 2008 seinen gesamten Wahlkampf aufbaute auf dem Versprechen, möglichst rasch einen Schlussstrich unter George W. Bushs "dummen" Krieg im Irak zu ziehen.
Kein Wunder, dass das Weiße Haus die Stunde des Kurswechsels als einen Moment überparteilichen Schulterschlusses inszeniert, als eine Art kollektive Entscheidung, die dem Land förmlich aufgezwungen wurde. Am Montag traf sich Obama mit Außenpolitikexperten beider Lager, allen voran die Sicherheitsberater früherer Präsidenten, Demokraten wie Zbigniew Brzezinski, Republikaner wie Stephen Hadley. Am Dienstag saßen die "Big Four" im Oval Office, die Fraktionschefs beider Kammern des Kongresses, die Republikaner John Boehner und Mitch McConnell neben den Demokraten Nancy Pelosi und Harry Reid. Es ist das Protokoll einer nationalen Krise.
Stimmen der Vorsicht
Dennoch mangelt es nicht an Stimmen, die zur Vorsicht mahnen. Welche Partner finden die USA in der Krisenregion? Die Türkei? Saudi-Arabien? Jordanien? Oder läuft es am Ende auf einen ermüdenden Alleingang hinaus? "Stellt uns der IS nicht eine Falle, in die wir nun hineintappen?", fragt David Ignatius, der Kolumnist der Washington Post. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 11.9.2014)