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Die Stadt Wien hat sich das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2025 nur mehr 20 Prozent der Wege der Wienerinnen und Wiener mit dem Auto zurückgelegt werden.

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Florent Marciacq wendet sich mit einem offenen Brief an mich und meint, die Hierarchie im Straßenverkehr stimme nicht. Fußgänger und Radfahrer würden benachteiligt. Er fragt, ob es denn keinen (politischen) Spielraum für mehr Rechte und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer gebe.

Der Straßenverkehr zählt eindeutig zu den emotionaleren Angelegenheiten. Bei der Fragestellung, ob unsere Verkehrsregeln für Fußgänger und Radfahrer gerecht sind, ist deshalb ein sachlicher Zugang und der Blick über den Tellerrand hilfreich. Welche Regeln gelten eigentlich in anderen Ländern?

Radfahren außerhalb Österreichs

Einbahnen eignen sich gut für einen Vergleich. Sie sind in den letzten Jahrzehnten überhaupt erst wegen des Autoverkehrs nötig geworden. Damit wurden aber auch die Wege für den Radverkehr länger und die Benutzung des Fahrrads unattraktiver. In Österreich muss für jede bestehende Einbahn untersucht werden, ob Radfahren in beide Richtungen erlaubt werden kann. Wien macht das kontinuierlich und öffnet jedes Jahr zahlreiche Einbahnen.

Anders sind die Regeln in Belgien. Dort sind innerstädtische Einbahnen seit einigen Jahren grundsätzlich für Radfahrende in beide Richtungen befahrbar, der Standard also. Lediglich Ausnahmen müssen eigens begründet werden.

Rote Ampel

Das Warten bei roten Ampeln, die es ebenfalls in erster Linie wegen des Kfz-Verkehrs braucht, steht symbolhaft für Regeleinhaltung. Interessant ist dabei England. Dort ist für Fußgänger das Queren am Schutzweg bei Rot erlaubt, Autofahrende haben dann aber Vorrang. Wenn etwas passiert, ist man halt selber schuld. In Paris wird für Radfahrende gerade das Rechtsabbiegen bei Rot erprobt.

Hervorzuheben ist auch der sogenannte "Idaho-Stop", der im gleichnamigen US-Bundesstaat angewendet wird. Stopptafeln haben für Radlerinnen und Radler dort die Bedeutung von Nachrangschildern, es ist also nicht nötig, stehen zu bleiben. Rote Ampelsignale gelten als Stoppzeichen, es darf nach kurzem Anhalten weitergeradelt werden.

Während es beim Alkohollimit für Pkws in Europa weitgehenden Gleichklang mit 0,5 Promille gibt, ist das beim Radverkehr anders. In Großbritannien und Dänemark gibt es praktisch kein Alkohollimit, in Deutschland liegt es bei 1,6 Promille. In Österreich liegt es übrigens bei 0,8 Promille.

Einhaltung von Regeln

International zeigt sich also: Es gibt Spielraum für mehr Rechte für Fußgänger und Radfahrer. Welche Bestimmungen sinnvoll sind, ist letztendlich auch eine Frage der Verkehrskultur. In skandinavischen Ländern mit tendenziell hohem Radverkehrsanteil ist etwa die Bereitschaft, bei Rot anzuhalten, deutlich höher als in Österreich. Die Einhaltung der jeweils geltenden Regeln durch die Verkehrsteilnehmer halte ich allerdings für eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir uns aufeinander verlassen können und das System insgesamt sicher ist.

Die Zuständigkeit für Strafhöhen liegt übrigens beim Bund und nicht bei der Politik in der Stadt Wien. Strafen werden von der Straßenverkehrsordnung und der Polizei vorgegeben. Die Mobilitätsagentur hat wissenswerte Regeln fürs Radfahren in der Radfahrfibel zusammengestellt.

Begegnungszone

Den Bemühungen von NGOs und Fachleuten ist es zu verdanken, dass es in den letzten Jahren positive Entwicklungen für Radfahren und Zu-Fuß-Gehen gab. Die Begegnungszone wurde eingeführt, die Fahrradstraße rechtlich verankert, und es ist nun möglich, die Benützungspflicht von Radwegen aufzuheben. Bei der Begegnungszone ist Österreich unter den Vorreitern in Europa. Es gibt noch viele mögliche Verbesserungen, die von Expertinnen und Experten befürwortet werden, etwa die Abschaffung der Sonder-Vorrangregeln für Radfahrende. Mit der Wartepflicht beim Verlassen von Radverkehrsanlagen werden derzeit alle anderen Vorrangregeln außer Kraft gesetzt, was nur wenige wissen.

Ob die Vision einer anderen Hierarchie im Verkehr, wie von Florent Marciacq gewünscht, Wirklichkeit wird, ist offen. Die bestehenden Regeln würden auch in Österreich viel Spielraum zulassen. Die Stadt Wien hat sich im Stadtentwicklungsplan jedenfalls das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2025 nur mehr 20 Prozent der Wege der Wienerinnen und Wiener mit dem Auto zurückgelegt werden. 28 Prozent waren es im Jahr 2013. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es auch eine Umverteilung des Straßenraumes in Richtung Radfahren, Zu-Fuß-Gehen und Öffis benötigen. Das bedeutet: Begegnungszonen, Radwege und Straßenbahnen anstatt so mancher Fahrspur oder Parkplätzen. Kopenhagen hat jährlich die Anzahl der Parkplätze um rund zwei Prozent verringert. Maßnahmen nach dem Prinzip "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" werden zur Erreichung des Ziels nicht ausreichen. (Martin Blum, derStandard.at, 12.9.2014)