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Apple-CEO Tim Cook (links) und U2 freuen sich am Dienstag, dass Handys noch teurer und Lieder noch wertloser werden.

Foto: Reuters/STEPHEN LAM

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Wien - Es gibt nicht wenige Menschen auf diesem Planeten, die behaupten, dass eine Welt ohne Bono noch mehr im Chaos, Leid und Bösen versinken würde, als sie es ohnehin schon tut. Bono macht immerhin den Herren des Universums im persönlichen Gespräch immer wieder klar, dass man zwischen Drohnenangriffen, Leitzinssenkungen und geheimen Pizzabestelldienst-Abhörprotokollen von NGOs zwischendurch auch einmal an Immanuel Kants moralischen Imperativ denken könnte. Der wird bekanntlich unterschätzt und besagt: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Ihn zu beherzigen würde definitiv zu einer globalen Entspannung, dem Ende des Hungers durch weltweiten Veganismus und dem Absterben des Zynismus führen.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass U2 als weltweit erfolgreichste Rockband nicht nur aufgrund eines Tricks ihrer Anwälte seit Ende der Nullerjahre nicht nur 95 Prozent ihres Einkommens nicht versteuern - was den scheinbar vor jeglichen Selbstzweifeln gefeiten Bono aber nicht daran hindert, gemeinsam mit dem Papst oder dem Weltbank-Chef für mehr soziale Gerechtigkeit zu beten.

Das fügt der Welt im Sinne eines etwaigen Allgemeinwohls wahrscheinlich mindestens so viel Schaden zu, wie Bono mit seiner christlichen Laienorganisation sonst so an Weltverbesserungs-Rabattmarken sammelt.

Jetzt wird es wirklich übel: U2 haben gerade mit Songs of Innocence das schlechteste und pathetisch-verlogenste Album ihrer an schlechten und verlogenen Alben nicht gerade armen Karriere veröffentlicht. Man ließ sich nicht nur von William Blakes Versepos Songs of Innocence and Experience beeinflussen, einem Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts, der sich mit seiner Angels-and-Devils- und Himmel-und-Hölle-Lyrik auf Augenhöhe mit Bono befindet, weswegen Bono jetzt nicht mehr alles selbst dichten muss.

Ein handbeschriftetes Nichts

Auch Joey Ramone und Joe Strummer, die früh verstorbenen Köpfe der Punk-Gründerväter Ramones und The Clash, bekommen Lieder gewidmet. U2 haben "Wurzeln im Punk", als weltumarmende Kirchenmusiker haben sie die Verweigerungshaltung des Punk allerdings gründlich missverstanden. Joey Ramone und Joe Strummer können sich nicht mehr wehren. Das handbeschriftete Nichts von weißem Cover ist einer guten alten Vinyl-Testpressung nachempfunden, die zur qualitativen Begutachtung in Kleinstauflage hergestellt wird, bevor eine Platte in den Handel kommt. Das soll vermitteln, dass U2 uns etwas Seltenes schenken. Ab 13. Oktober wird man das Album auch kaufen können. Wer wird das tun, die Verwandtschaft? Mit der gefühlvollen Ballade Iris hat Bono übrigens endlich eine Fortsetzung von Heintjes Mama geschrieben.

Textlich ist alles ohnehin so angelegt, dass es von einem fanatischen 15-jährigen polnischen Austauschschüler hätte verfasst werden können, der seinen gottlosen britischen Gasteltern den katholischen Glauben mit dem Schwert näherbringen möchte.

U2 lassen sich auf Songs of Innocence vom ab sofort unhippen Produzenten Danger Mouse (Gnarls Barkley, Crazy) blutleer und songtechnisch alte U2-Formulare ausfüllend Richtung Pathos-Elektrorock designen. In der heutigen Folge hören wir Coldplay, wie sie U2 nachahmen, die Snow Patrol nachäffen, in Wahrheit aber aus Bruck an der Mur kommen und sich Achtung Baby nennen. Bono hat jetzt eine altersgrelle, kratzige Stimme. Der wichtigste Effekt ist nach wie vor der Hall, original handgezogen im Petersdom. Selbstverständlich ist Songs of Innocence spirituell hochgradig aufgeladen. Im Hall klingen kleine Ideen ganz groß.

An die 500 Millionen Benutzer der zum Apple-Konzern gehörenden Medienplattform iTunes haben seit der Präsentation eines neuen Taschentelefons am Dienstag auch zwangsbeglückt und ohne Fragen um Erlaubnis das U2-Album gratis in ihre Soundbibliothek geladen bekommen. Mit diesem skandalösen Eingriff in das Leben einer halben Milliarde Menschen dürfte nun auch geklärt sein, was der Begriff Privatsphäre im 21. Jahrhundert wert ist. Er ist umsonst, U2 spielen für Apple und den Hugo. Der derzeitige weltweite Shitstorm deswegen dürfte für U2 trotz ihrer Kenntnisse sämtlicher biblischen Plagen eine neue Erfahrung sein.

Die Summe, die U2 für die Wertlosmachung des Kulturguts Pop erhalten haben, damit ein neues Handy einen absurden Marktwert bekommt, bleibt geheim. Gottes Lohn war kein Thema. iTunes ist übrigens eine Plattform, auf der Musiker lächerlich wenig Tantiemen bekommen. Wenn man U2 hört, fühlt man sich beschmutzt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 12.9.2014)