"Destiny" ist für PS4, PS3, Xbox One und Xbox 360 erschienen. Alterseinstufung: ab 16 Jahren (PEGI). UVP: 59 Euro

Screenshot: derStandard.at/Zsolt Wilhelm
Screenshot: Destiny
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Welches Spiel würden Sie kreieren, wenn Sie unbegrenzte Mittel hätten? Nachdem man zehn Jahre lang überaus erfolgreich die Ego-Shooter-Serie "Halo" fortgesetzt hatte, standen die kreativen Köpfe des Chicagoer Studios Bungie vor dem Luxusproblem, sich genau diese Frage stellen zu können. Ihr nächstes großes Franchise sollte das Spiel werden, das sie schon immer erschaffen wollten. Eine zehnjährige Partnerschaft mit "Call of Duty"-Herausgeber Activision über insgesamt drei Teile garantierte, dass den Visionären in der Traumfabrik keine Grenzen gesetzt wurden.

Spätestens nach einem Dutzend Stunden in der Welt des diese Woche erschienen Sci-Fi-Epos "Destiny" ist es Zeit, ein Zwischenresümee von diesem Entwicklertraum zu ziehen: Gestützt von der Finanzkraft Activisions ist ein Spiel entstanden, das am Papier modernen Trends gerecht wird. Es ist aber auch ein Spiel, das trotz der potentiellen Freiheiten seiner Erschaffer auf alten Ideen basiert und auf Nummer sicher geht - in der Hoffnung, möglichst vielen Konsumenten zu gefallen. Es ist groß, laut und bunt und dennoch leer. Es mag alle Checkboxen der Marketingliste erfüllen, eine eigene Identität, eine Seele lässt es allzu oft vermissen. Das Paradoxon ist, dass man trotzdem reichlich Spaß daran haben kann.

Das Böse gegen das Gute

Die mangelnde Persönlichkeit ist zu einem Gutteil dem dürftig erzählten Hintergrund geschuldet. Viele hundert Jahre in der Zukunft schlüpft man in die Rolle eines lange verstorbenen und wiederbelebten Wächters, dem es wie anderen seiner Gattung obliegt, die Menschheit vor dem Bösen, The Darkness, und einer Schar blutrüstiger Außerirdischer zu bewahren. Diese teuflische Dunkelheit hat das gesamte Weltall auf dem Gewissen und die Menschen nach florierenden Generationen der interplanetaren Kolonialisierung bis auf eine letzte Stadt auf der Erde zurückgedrängt. Mystik steuert eine riesige Kugel, The Traveler, bei, die das Universum für lange Zeit beschützte, dann verschwand und nun wieder zurück ist, um die letzte Hochburg der Menschheit mit einem Energieschild zu behüten.

Viel sagenumwobener Pathos, der rasch im Nichts endet. Die Vergangenheit, die Vorgeschichte der Protagonisten kann man zwar in einem Wiki nachlesen, im Spiel wird sie aber nicht erzählt. Das Leid, das die Dunkelheit verursacht haben soll, wird umrissen, aber nicht gezeigt. Die Menschheit existiert vielleicht in Erzählungen, Leben sieht man nicht. Spieler werden nicht in diese Endzeitkulisse hineingezogen, sie werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir Menschen sind die Guten, die Aliens sind die Bösen. Das Gefühl, Teil einer großen, wichtigen Sache zu sein, kommt nicht auf. Ein durchschaubarer Schmalz, der nur aufgetragen wurde, um Spielern eine Rechtfertigung zu geben, Horden hereinbrechender Monster abknallen zu können.

destinygame

MMO-Feeling

Für diesen Zusammenstoß der Gewalten haben sich die Schöpfer von diversen Spielkonzepten inspirieren lassen. Das zugrunde liegende, reibungslos gefeilte Gameplay ähnelt stark jenem aus Bungies vorangegangener Shooter-Serie "Halo". Auf Widersacher zu Schießen läuft mit einer erschreckend befriedigenden Einfachheit. Erweitert wurde die klassischen Shooter-Elemente um einige Rollenspiel- und Mehrspielermöglichkeiten von MMOs wie "World of WarCraft". Allerdings ohne eine gänzlich offene Spielwelt zu gestalten. Die Geschichte führt einen auf vier bereisbare Spielareale auf Erde, Mond, Venus und Mars, die in frei erkundbare Gebiete und spezifische Story-Missionen und Nebenaufträge aufgeteilt sind, die man im Team mit bis zu zwei Gefährten in Angriff nehmen kann.

In den freien Zonen stößt man einerseits auf reichlich Computergegner und andererseits auf andere Wächter, die ihres Weges walten. Es sind Spielplätze, die man mit nicht mehr als zwei Hände voll Fremder gleichzeitig teilt. Diese Aufeinandertreffen können in einem beiläufigen Winken enden, kleinen Scharmützeln mit Alien-Trupps oder in zufällig auftretenden "Public Events", in denen man gemeinsam größere Gefechte überstehen muss. Ein Gefühl der Gemeinschaft kommt nicht so recht auf, da zum einen die Interaktion mit fremden Spielern so gut wie nicht möglich ist und zum anderen, weil die Übergänge zwischen den Levels nicht fließend sind. Von einer übergeordneten Karte aus muss man nicht nur jeden Planeten, sondern auch jede Mission einzeln ansteuern und dabei elend lange Ladezeiten überdauern.

Heldenwahl

Seinen Helden oder seine Heldin wählt man aus drei unterschiedlichen Klassen und kann diese nach den eigenen Vorstellungen gestalten. Titans sind schwer gepanzerte Soldaten mit Nahkampfstärken. Hunter eignen sich gut für Angriffe aus der Distanz und Warlocks haben eine magische Fähigkeit. Schlussendlich sind es Detailunterschiede, denn jeder Charakter macht in erster Linie von seinen Schusswaffen Gebrauch, die man im Verlauf des Spiels aufsammelt.

Der Rückzugsort der Wächter ist der Tower, auf dem man nicht nur gleichgesinnte Spieler, sondern auch Händler, Kopfgeldjäger und andere Verbündete trifft, die einem neue Aufträge, Ausrüstung oder Belohnungen zukommen lassen. Es ist ein weitläufiger Versammlungsort, der theoretisch zum Austausch mit anderen einlädt. In der Praxis wünscht man sich allerdings schon bald, diese Funktionen in einem vereinfachten Schnellmenü ausführen zu können. Den Spielfluss stört bespielsweise, dass man manche aufgesammelte neue Gegenstände nicht gleich aktivieren kann, sondern erst bei einem Spezialisten freischalten lassen muss. Das mag bei ersten oder fünften Antritt noch die Spannung steigern, mit der Aussicht auf dutzende solcher Inhalte lähmt es den Spielfortschritt, wenn man extra deshalb zum Tower und eine weitere Ladezeit erdulden muss.

Schöne, leere Welt

Die Oberflächlichkeit der Rahmenhandlung zieht sich bei der Darstellung dieser imposant texturiert und beleuchteten Schauplätze fort. Durchstreift man sie alleine, wirken sie steril, geradezu leblos. In einer Endlosschleife werden immer wieder die gleichen Gegnertrupps hergezaubert. Wildtiere, unbeteiligte Parteien, Vielfalt abseits der architektonischen Variation sucht man vergeblich.

Daran ändert auch nichts der ständige Begleiter, der Ghost, der als schwebende Drohne mit Witz und Sprachgewalt die Stille durchbrechen könnte. Gesprochen von "Game of Thrones"-Star Peter Dinklage kommentiert der quirlig fliegende Gefährte das Geschehen jedoch derart monoton, dass man glauben könnte, Dinklage hätte seine Textpassagen ohne jeglichen Handlungsbezug ablesen müssen. Selbst bei eingeschobenen Scherzen ändert sich die Tonlage nicht. Die langen Ladezeiten werden damit ebenso öd wie die handlungsarmen Zwischensequenzen. So toll Charaktere animiert sind und so schön ihre Gesichter dank Hintergrundunschärfe bei Lensflare-Effekten in den Fokus gerückt werden, Emotionen kommen keine auf.

Einfallslose Spielroutine

Macht man sich bewusst, dass Bungie mit "Destiny" die Chance hatte, eine völlig neue Geschichte in einem völlig neuen Universum zu kreieren, zeugt die Inszenierung von einem überraschend großen Maß an Einfallslosigkeit. Gleiches gilt, und dies wiegt weit schwerer, für die eigentlichen Spielmissionen. Bei der Suche nach den Artefakten, die den Traveler aktivieren und der Menschheit zum Sieg verhelfen sollen, durchstreift man, etwas langsamer zu Fuß oder flotter mit dem Gleiter, immer wieder die gleichen (wenngleich eindrucksvollen) Orte und Katakomben, um letztendlich die immer gleichen Abläufe zu befolgen.

Man schießt sich den Weg frei, lässt den Ghost irgendwelche Informationen aus uralten Gemäuern auslesen oder Maschinen aktivieren, währenddessen man neuerlich hereinstürmende Gegnerwellen abwehrt. "Deploy Ghost. Kill the enemies", immer und immer wieder. Jede Mission und jedes Level ist in strickt von einander getrennte Bereiche aufgeteilt, in die mal mehr, mal weniger starke Widersacher gesetzt werden. Die Grenzen dieses Systems zeigen sogar die computergesteuerten Feinde selbst auf, die einem solange aggressiv entgegenkommen und dazwischen teils clever in Deckung gehen, teils dämlich ins Nichts schauen, bis man sich zum Leveleingang zurückzieht. Als gäbe es eine durchsichtige Barriere, lassen sie einen ab einem gewissen Punkt wieder in Frieden. Es sind die selben angestaubten Routinen, die schon bei jüngeren "Halo"-Teilen nicht mehr schick waren. 2014 sind sie endgültig out of date.

Diese Limitierungen fallen umso deutlicher auf, da es spielerisch kaum Abwechslung gibt. Zwar verfügt man über einen Gleiter, aber Rennen oder reine Vehikelgefechte gibt es nicht. Der Story-Verlauf animiert erst gar nicht dazu, aus dem Hamsterrad des Soldaten auszusteigen und beispielsweise auf Erkundungsexkursion zu gehen. Es gibt auch nichts zu entdecken und keine Geheimnisse zu lüften. Dabei hätte man auf diesen fantastischen Planeten jede Menge Schätze verbergen können.

Gemeinsam ist alles anders

Diese Kritikpunkte relativieren sich, sobald man in der Gruppe zu Werke schreitet. Zwar machen die faden Zwischensequenzen und Gameplay-Kreisläufe auch dann keine bessere Figur, doch verlagert sich zu zweit oder zu dritt die Aufmerksamkeit auf die Kooperation. Zusammen gegen alle anderen, sich im Eifer des Gefechts über das Headset absprechend und tratschend, ist es plötzlich nicht mehr so wichtig, dass man einer Nullgeschichte folgt, oder, dass man wiederholt darauf wartet, dass der Ghost mit der Ruhe und dem Singsang eines Sonntagspfarrers seine Scans durchführt. Gemeinsam die Hölle auf Erden zu verhindern macht viel Spaß und kann Abende im Handumdrehen verstreichen lassen.

Im Chor der Munitionssalven, Blitzgranaten und Energieschüsse erklingen die Schicksalsrufe harmonisch, werden diese einzeln schwachen Bausätze zu einem unterhaltenden Spielgerüst zusammengefügt. "Destinys" Komponisten tun lediglich so, als würden sie eine epische Schlacht zwischen dem Guten und Bösen dirigieren wollen, dabei geht es lediglich um die Freude, gemeinsam zu ballern und immer mächtigere Endbosse zu Fall zu bringen.

Der Durst nach Neuem

Wie bei vielen Rollenspielen motivieren auf Dauer nicht die doch sehr repetitiven Missionen, sondern das Streben nach neuer Ausrüstung und die Weiterentwicklung des Helden. Spätestens wenn man gesehen hat, wie viel Schaden eine fortschrittlichere Waffe eines Mitspielers anrichtet, oder wie viel ein Kamerad der höheren Stufen einstecken kann, will man auch dort hinkommen. Man möchte wissen, welche Missionen und Gegenstände einem Level 10, 15 oder 20 bringen.

Die Sammelsucht wird rasch geweckt, Individualisierungsmöglichkeiten fixen im Einheitskrieg besonders an. Noch dazu, wo der Vergleich mit dem Gegenüber allgegenwärtig ist. Veteranen erkennt man bereits an ihrer Rüstung und den Umhängen, die sie stolz zur Schau tragen. So einfach kann das Hirn gestrickt sein. Ein "Diablo" als Shooter, dessen Loot-System durch den Tower ausgebremst wird, könnte man in Spielerkreisen ätzen.

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Miteinander und Gegeneinander

Abseits der Story-Missionen und Nebenaufträge verfügen die vier Himmelskörper über diverse kooperative und kompetitive Bewerbe. Wie gut man wirklich ist, bekommt man vor allem in klassischen Matches, 6 gegen 6, zu spüren. Auf engen Arealen verteidigt man Stellungen oder versucht, sein Team zum Punktsieg zu führen.

Am interessantesten ist "Destiny" jedoch im Einklang mit möglichst vielen Spielern bei "Public Events", wo zumindest ein Hauch von Gewissheit aufkommt, an einem größeren Ganzen beteiligt zu sein. Leider treten diese Ereignisse bislang viel zu selten ein. Die "Strikes" mit bis zu zwei Partnern erweitern die Art des Spiels, das man von den Missionen kennt, und funktionieren für die Größe der Levels am besten zu dritt. Dennoch Schade, dass sich hier nicht mehr Freunde gleichzeitig in die Schlacht werfen können.

Ein solider Anfang

Bungie hat für den Start seiner neuen Serie auch technisch auf Sicherheit gesetzt. Die Weite der russischen Steppe, die Katakomben des Mondes, die grün bewachsenen Ruinen der Venus und die Wüste des Mars' sehen traumhaft aus, sind aber starre Kulissen, die sich wie die statischen Umgebungen der Games vergangener Konsolengenerationen nicht zerstören lassen. Dynamik, sich bewegende Plattformen oder manipulierbare Elemente gibt es nicht.

Es wirkt, als sollte der erste Wurf der Serie eine solide Basis für das sein, was noch kommen könnte. Die Gameplay-Mechanik ist makellos und im Test der PS4-Version funktionierte das Online-Zusammenspiel inklusive Chat ebenso tadellos. Der Netzwerkcode hielt selbst zu Hochzeiten der Belastung stand. Dadurch, dass der Übergang zwischen freien Arealen und Missionen allerdings nicht fließend verläuft und man für neue Aufträge immer wieder die gleichen Orte aufsuchen muss, wirkt die Spielwelt tatsächlich kleiner, als sie am Plan erscheint. Für das Online-Universum, dass es sein soll, müsste es deutlich mehr Schauplätze geben.

Großes Fragezeichen

Dass die Basis passt, hätte man sich von einem renommierten Studio wie Bungie so und so erwartet. Wie gut "Destiny" den Spielern in Erinnerung bleiben wird und, ob es sich als neue Säule im hart umfochtenen Shooter-Markt etablieren kann, wird daher vor allem davon abhängen, wie rasch und vielfältig der noch weitgehend seelenlose Krieg der Sterne angeheizt wird. Echte Massenschlachten, im MMO-Fachjargon Raids genannt, neue, abwechslungsreichere Missionen, weitere Planeten und ein Strom frischer Sammlerkost könnten das Interesse an dem Sci-Fi-Spektakel noch über viele Monate und Jahre aufrecht halten. Herausgeber Activision wird dafür eine faire Balance aus kostenlosen und gebührenpflichtigen Zusatzinhalten finden müssen. Denn die Bringschuld dürfte aus der Sicht flott gesättigter Fans der ersten Stunde noch nicht getilgt sein. Einzelspieler mit einem Appetit auf spannende Geschichten laben sich unterdessen besser gleich an anderer Stelle. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 14.9.2014)