Lisa Stadler ist Social-Media-Redakteurin des Standard und seit sieben Jahren Mitglied eines DJ/VJ-Kollektivs.

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Hercules machte mich schlagartig cool. Genau genommen ein kleines Kästchen namens Hercules DJ Control, mit dem man vom Laptop gezapfte Musik raffiniert aufbereiten konnte. Die 100-Euro-Konsole war meine Eintrittskarte in die Welt des sogenannten DJings, in die ich relativ arglos hineingekippt bin. Vor sieben Jahren war das - und neu war daran prinzipiell wenig. Über Jahrzehnte hinweg hatten DJs in aller Welt die hohe Kunst perfektioniert, die Tanzflächen am Brodeln zu halten. Spätestens mit dem Disco-Boom der 1970er stieg der Discjockey zum Idol hinter den Plattentellern auf. Immer neue Spielarten brachte dieses Genre hervor: den scratchenden Hip-Hop-DJs der Achtziger folgten die Techno-Helden der Neunziger. Die Wiener Kruder & Dorfmeister hatten 2007 wiederum mit ihren Downtempo-Sounds schon längst die Musikgeschichte mitgeschrieben.

Kurzum: Als ich mit Hercules antrat, waren alle Lieder gespielt, remixt, nochmal gespielt und alles über die Kunst des Auflegens erzählt worden. Nur einer blieb: der DJ als personifizierte Party, der in den vergangenen Jahren eine Transformation vom Plattenaufleger zum weltweit gefeierten Megastar hingelegt hat. David Guetta, Richie Hawtin, Marco Carola - DJs, die für Gagen unter 50.000 Euro pro Abend oft nicht einmal ihre Kalender-App aufrufen.

Facettenreicher DJ-Alltag

Doch trotz fantastischer Summen und eines weltweiten Hypes: Als "Musiker" im eigentlichen Sinne gilt ein DJ noch immer nicht. Für die einen sind sie zugedröhnte Typen, die mit lautem Tschimmbumm die Tanztempel auf Ibiza füllen. Andere wiederum neiden ihnen die Bewunderung der Fans und ein Leben auf Dauerparty. Ein Argwohn, der auch unzählige Gehaltsstufen tiefer, also in meiner Spielklasse, zu hören ist. Nach rund 500 Auftritten bin ich zwar nicht viel schlauer als vorher, eines kann ich aber sagen: Ja, Auflegen macht Spaß - und ist vor allem harte Arbeit.

Dann etwa, wenn man sich am Christtag oder am Ostersonntag auf den Weg macht, um mit dem Zug von Wien ins Ländle zu fahren. Dort warten ein paar Hundert Tanzwillige, mehrere DJ-Kollegen und die sogenannten VJs. Diese Spezialisten für visuelle Effekte projizieren live dem Sound angepasste Grafiken und Videoclips auf die Wände. Gemeinsam teilt man sich den Abend in Zweistundenschichten auf. Von zwei bis vier Uhr früh ist die "Primetime", also die Zeit, in der die Party in der Regel am besten läuft. So oder so ähnlich sieht - nach Bezahlung des vereinbarten Honorars - so etwas wie der Idealabend aus.

Tatsächlich aber ist der "normale" Club-DJ-Alltag in Österreich gelinde gesagt facettenreicher: Da kann es passieren, dass man in einer düsteren Pension in, sagen wir, Katzelsdorf untergebracht und so behandelt wird, als wäre der DJ das notwendige Übel an Dienstleistung, das man sich eben auch leisten muss. Dann wieder raunzt der Veranstalter, dass er die Gage nicht vollständig auszahlen kann, weil der Abend ein Minusgeschäft war. Oder das Publikum ist - wenn überhaupt vorhanden - tanzresistent, jemand bestellt bei einem das zwölfte Flügerl, weil er das DJ-Pult mit der Bar verwechselt, und am Ende des Abends, also in aller Früh, ist man nur noch froh, ins Bett zu fallen.

Doch schon am Wochenende darauf gerät man an einen Veranstalter, der wirklich Ahnung von Musik hat, und tauscht sich über neue Tracks und Künstler aus. Das Publikum findet die Lieder, die man spielt, genauso gut wie man selbst. Übernachtet wird in einem tollen Hotel, und man lernt unglaublich nette Leute kennen, die zu guten Freunden werden.

Großbeschallungshappening

Mit den Großbeschallungshappenings der Herren Guetta oder Aoki hat das wenig zu tun. Die haben irgendwann auch so begonnen, produzieren aber mittlerweile selbst Musik oder lassen sie auf Massentauglichkeit hin produzieren. Mit ihren eigenen Hits und den Remixes landet die Herrenclique - Frauen sind in der Szene rar - verlässlich in den Charts. Die eigenen Tracks, gemischt mit denen ihrer DJ-Freunde, spielen sie in ihren Sets - so wird die Maschinerie am Laufen gehalten.

Das Leichtlauföl der Oberliga ist die Electronic Dance Music (EDM) - kommerzielle Knartz-Rhythmen, mit denen H&M-Filialen oder Kinofoyers beschallt werden. Für Calvin Harris, der 9,5 Millionen Facebook-Fans hat, gehen sich mit 66 Millionen Euro Gage jährlich ein paar vergoldete Whirlpools aus, und Kollege Steve Aoki wickelt für 23 Millionen pro Jahr bis zu drei Auftritte an einem Tag auf zwei Kontinenten ab. Die Weihestätten der Szene sind neben Festivals einschlägige Clubs auf Ibiza und in Las Vegas.

Aus der Ferne betrachtet sieht das nach leicht verdientem Entertainment-Geld aus. Schließlich ist der Eintritt in diese Glitzerwelt mit relativ geringen Investitionen verbunden. Etwa 2000 Euro kos- tet ein semiprofessionelles Equipment. Doch danach beginnt erst der mühsame Teil: das Durchsuchen von Blogs nach neuen Veröffentlichungen, das Ausprobieren, wie die Lieder zu mischen sind, wie die Reihenfolge einer Dramaturgie folgt und aus dem Set eine musikalische Reise wird - das waren die Grundlagen für meinen ersten Auftritt mit einem DJ-Kollektiv. Und der war aus heutiger Sicht dürftig. Jahre hat es gedauert, bis ich die DJ-Software bis in ihre Verästelungen verstanden habe, bis meine Schweinsohren den Unterschied zwischen guter und schlechter Soundqualität erkannt haben. Auf dem Weg dorthin: übersteuerte Soundsysteme, kaputte Boxen, verhaute Übergänge, Partygäste, die Geburtstagslieder einfordern, ein kaputter Laptop, weil jemand kurz vor dem Auftritt Bier über die Tastatur gekippt hat, sowie elend lange Zugfahrten. Und nach einem Wochenende mit viel zu wenig Schlaf wartet am Montag ein 40-Stunden-Bürojob.

Der Sound des Prekariats

Ja, Bürojob. Denn in Österreich können nur wenige vom Auflegen leben. Wer Talent und Ehrgeiz hat, spielt zwar relativ rasch in kleineren Clubs. Doch selbst jene, die es in die Szene-Locations des Landes schaffen, können mit den Gagen ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten. Zwischen 100 und 1000 Euro für ein Zwei-Stunden-Set sind ein grober Richtwert. Die meisten schlagen sich jedoch für 50 bis 250 Euro eine Nacht um die Ohren. Die Konkurrenz ist groß, nicht selten legen Newcomer sogar gratis auf. Viele Veranstalter profitieren von dem Überangebot und drücken die Gagen. Verträge? Bezahlter Krankenstand? Nicht für das DJ-Prekariat.

Ganz neu ist das zwar nicht - schon die guten alten Keller-Livebands mussten mit diesen Problemen fertigwerden -, doch der Wandel der gesamten Musikbranche verlangt mehr, als nur ein guter "Act" zu sein. DJs müssen sich konsequent zur Ich-AG ausbauen. Denn nur wer etabliert ist, gut verhandelt, viele Fans auf Facebook hat, die richtigen Leute kennt, eigene Musik veröffentlicht und selbst Events veranstaltet, dazu Talent und Durchhaltevermögen hat, steigt vom Parkplatzrave in Katzelsdorf in die Tanzkathedralen von Ibiza auf. All das auf die Reihe bringen kann und will eben nicht jeder. Die Leidenschaft für Musik hingegen vereint uns alle. Denn darum geht's ja eigentlich. Und um ein bisschen Coolness. (Lisa Stadler, DER STANDARD, 13./14.9.2014)