Trinken als soziale Verpflichtung: In der US-amerikanischen TV-Serie "Mad Men" (im Bild Protagonist Don Draper und seine Freundin Megan) wird diese gesellschaftliche Konvention rauf und runter dekliniert. Die Crux: Ein langweiliger Abend wird lustiger, die Sorgen verfliegen auch.

Foto: Michael Yarish/AMC

Selbstbetrug ist eine Fähigkeit von höherer Intelligenz und ermöglicht das Denken auf zwei Ebene mit widerstreitenden Kräften. Dass Alkohol ein Suchtmittel ist, gehört zur Allgemeinbildung. Wer eines Tages bemerkt, dass es ohne die tägliche Dosis eher mühsam ist, findet unzählige Argumente zur Verharmlosung dieser Tatsache. "Ich kann dieses: 'Ich trink ja eh nur Sommerspritzer' nicht mehr hören", sagt Dieter Reichert, Präsident des Vereins Blaues Kreuz, wo er seit 17 Jahren Menschen in Gruppentherapie aus der Abhängigkeit begleitet. Schließlich gehe es um die Alkoholdosis und nicht um die Verdünnung, sagt er. Weil Alkohol eine legale Droge ist, tut sich die Gesellschaft beim Umgang mit Alkohol schwer.

"Das Besondere an Alkohol ist, dass die Übergänge von Gebrauch zu Missbrauch zu Abhängigkeit fließend sind", sagt Psychiater Roland Mader, Suchtexperte am Anton-Proksch-Institut, einer Sonderkrankenanstalt zur Behandlung von Abhängigkeiten. Worüber sich alle Experten längst einig sind: Alkoholabhängigkeit ist eine chronische, psychische Erkrankung, der andere psychische Erkrankungen zugrunde liegen. "Alkoholabhängige haben deshalb oft Angst vor der Abstinenz, weil sie in der Nüchternheit mit ihren Grundproblemen konfrontiert werden", skizziert Reichert diesen Teufelskreis. Depressionen seien eine häufige Ursache, aber auch Panik- oder Angstattacken sowie niedriges Selbstwertgefühl wie etwa bei Borderline.

"Alkohol hilft ja auch tatsächlich gegen diese Zustände und wird deshalb zu Beginn als positiv erlebt, die negativen Auswirkungen kommen später", präzisiert Mader. Wer einmal körperlich vom Alkohol abhängig ist, hat ein sogenanntes Suchtgedächtnis. "In Situationen, die gut mit Alkohol bewältigt wurden, schreit das Hirn nach dieser Substanz", beschreibt Reichert ein Gefühl, welches das langfristige Loskommen von der Sucht für alle, die das Saufen satthaben, zu einer großen Herausforderung macht.

Starthilfen haben

Die Strategie der Behandlung folgt klaren Richtlinien. Die körperliche Entwöhnung dauert durchschnittlich zehn Tage und erfolgt meist stationär. Die akuten Entzugserscheinungen (Schlaflosigkeit, Zittern, nächtliches Schwitzen) werden mit Benzodiazepinen erträglich gemacht, langfristig haben sich Psychotherapie oder die Teilnahme an Selbsthilfegruppen bewährt. Das Ziel: eine Neugestaltung des Lebens. "Voraussetzung für den Erfolg ist, dass jemand wirklich ernsthaft aufhören will, Druck von außen hilft", sagt Reichert.

Für Mader ist die Behandlung der psychiatrischen Grunderkrankung ein Schlüssel zum Erfolg einer Therapie, "die Krankheiten beeinflussen einander gegenseitig. Wenn die psychischen Begleiterkrankungen nicht ebenfalls behandelt werden, ist ein Rückfall in alte Trinkmuster unausweichlich", sagt er, und Alkoholentzug sei höchst individuell. Kliniken, Selbsthilfegruppen, die Anonymen Alkoholiker: "Wer nichts davon in Anspruch nimmt, wird sich schwertun, vom Alkohol loszukommen", sind sie beide Experten sicher.

Darüber, dass Abstinenz die beste und sicherste Lösung ist, herrscht Einigkeit. "Für viele ist das aber nicht vorstellbar", berichtet Mader aus Erfahrung und ist froh, dann Medikamente als Unterstützung anbieten zu können. Naltrexon oder Acamprosat - sogenannte Anti-Craving-Substanzen - dämpfen das Verlangen und haben sich bei der Alkoholrückfallprävention in Studien und in der Praxis bewährt. "Es sind keine Wundermittel, aber eine Option, gefährliche Trinksituationen zu überwinden", sagt Mader.

Patienten, für die eine Abstinenz noch nicht vorstellbar ist, steht seit kurzem auch das Medikament Nalmefen zur Reduktion der Trinkmenge als zusätzliche Behandlungsoption zur Verfügung. Denn Mader hat Patienten, die Alkohol in großen Mengen trinken. Gerade für sie ist das neue Medikament eine Option, weil es das Verlangen nach Alkohol reduziert. "Wer die Tablette nimmt, trinkt weniger, es kann ein entscheidender Zwischenschritt auf dem Weg zur Abstinenz sein", sagt Mader. Das, was Psychiater als Ressourcenarbeit bezeichnen, sollte parallel laufen, also Aktivitäten finden, die früher Spaß gemacht haben und die die Sucht in Vergessenheit geraten lassen hat.

"Reden ist für Alkoholkranke die größte Hürde", sagt Reichert. Von medikamentöser Unterstützung hält er eher wenig, weil es schließlich um das Rückerlangen der freien Entscheidungsfähigkeit gehe. Andererseits gebe es eben viele Wege aus der Sucht, grenzt er ein. "Man muss schauen, was einem taugt."

Trinken als soziale Verpflichtung: In der US-amerikanischen TV-Serie "Mad Men" (im Bild Protagonist Don Draper und seine Freundin Megan) wird diese gesellschaftliche Konvention rauf und runter dekliniert. Die Crux: Ein langweiliger Abend wird lustiger, die Sorgen verfliegen auch. (Karin Pollack, DER STANDARD, 13.9.2014)