Gutes Gewissen lässt sich kaufen, und die Konsumenten greifen dankbar zu. Die Rekordsumme von 130 Millionen Euro gaben die Österreicher 2013 für Fairtrade-Produkte aus, rund ein Viertel mehr als im Jahr davor. "Nach Jahren in der Nische ist der faire Handel in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt der deutsche Wirtschaftswissenschafter Hans-Heinrich Bass. Österreich liegt bei der Akzeptanz fairer Güter weltweit an fünfter Stelle. Rund ein Drittel der Rosen oder ein Fünftel der Bananen wird im Namen der Fairness verkauft. Traditionscafés und internationale Ketten servieren Fairtrade-Kaffee, faire Schokolade schmeckt in vielen Varianten, und Leintücher aus fair produzierter Baumwolle gibt es auch beim Diskonter. Tatsächlich machen es die Player den Konsumenten leicht, Genuss mit Wohltätigkeit zu verbinden. Ein paar Cent Spende für das große Ganze, wenn man Schokolade isst: "Wenn es diese clevere Verbindung von kleinem Genuss und niedrigschwelliger Menschenfreundlichkeit nicht gäbe, müsste man sie erfinden", sagt Bass.
Keine heile Welt
Dass ein faires Siegel auch automatisch eine heile Produktionswelt bedeutet, ist freilich eine Illusion. Faire Rosen aus dem unter enormer Wasserknappheit leidenden Kenia sind ein Beispiel dafür, dass eine Gut-Böse-Bilanz auch in der fairen Wirtschaftswelt nicht eindeutig ausfällt. Denn für die Produktion braucht es viel Wasser. Durch den Rosenexport wird quasi Wasser aus Kenia in ein wasserreiches Land wie Österreich transferiert. In der Gesamtbetrachtung sei der "ökologische Schaden für das Land größer als der Nutzen durch die Einkommensschaffung", gibt Wissenschafter Bass zu bedenken. Wer trotzdem kauft, tut allerdings im Sinne der Nächstenliebe laut Bass auch nichts Unrechtes. "Wer nicht weiß, wie die Kinder am nächsten Tag satt zu bekommen sind, wird sich nicht für die Umweltprobleme der nächsten Jahre interessieren, sondern froh sein, dass es Arbeitsplätze gibt."
Ethisch verträgliche Kaufentscheidungen treffen: Genau das ist aber die Wurzel der Idee, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren ausgehend von den Niederlanden in Europa verbreitete. Hinter fairem Handel steht die Ambition, mithilfe des Konsums die Welt zu verbessern. In erster Linie sollten Bauern in Entwicklungsländern Zuschläge auf den Weltmarktpreis bekommen, und garantierte Abnahmemengen sollten ihnen die Planung erleichtern. Damit die Konsumenten auch die entsprechenden Produkte erkennen konnten, begann man, Zeichen wie das Fairtrade-Siegel auf die Packungen zu drucken. Immer wieder ruft das System auch Kritiker auf den Plan. Forscher der University of London haben etwa recherchiert, dass es für die Arbeiter nicht unbedingt eine Verbesserung bedeute, in einem von Fairtrade anerkannten System zu arbeiten. Manchmal verdienten die Arbeiter in kleinbäuerlichen und genossenschaftlichen Betrieben der Studie zufolge weniger Geld oder hätten schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung als Arbeiter auf großen konventionellen Farmen.
Finger auf die Wunde
Es sei durchaus sinnvoll, die Finger auf die Wunden des Systems zu legen, sagt dazu Fairtrade-Österreich-Chef Hartwig Kirner. "Bei den Lohnarbeitern müssen und werden wir sicher genauer hinschauen." Wissenschafter Bass sieht die Londoner Studie differenziert: "Kleinbauern stellen in Entwicklungsländern oft die Gesellschaftsschicht, die wir als Mittelstand bezeichnen. Dieser kann einer Gesellschaft Halt geben, auch in Krisenzeiten. Und langfristig ist es durchaus möglich, mithilfe von Programmen wie Fairtrade die Fertigkeiten der Kleinbauern weiterzuentwickeln und ihre Produktivität zu erhöhen." So gesehen sei Fairtrade eine mittelstandorientierte Entwicklungshilfe. (Regina Bruckner, DER STANDARD, 15.9.2014)