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Im Jahr 2011 wurden 711 Kinder Kinderwohngruppen, betreuten WGs oder Pflegefamilien übergeben, 2013 waren es noch 582.

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Martin Dienstbier arbeitet mit überforderten Eltern.

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Wien - Anfang nächsten Jahres soll es so weit sein. Dann dürfen drei Geschwister nach dreieinhalb Jahren des Aufenthalts in einer Kinderwohngruppe wieder nach Hause - wenn weiterhin alles gutgeht. An dieser Entwicklung hat Martin Dienstbier mitgewirkt, Sozialarbeiter im SOS-Kinderdorf Wien, der sich 40 Stunden in der Woche nur mit Eltern von im Kinderdorf betreuten Kindern auseinandersetzt. Elternarbeit in dieser Form sei schon etwas Besonderes, meint Dienstbier, vor allem während der Phase, in der Kinder bereits fremduntergebracht sind.

Das trifft in Österreich auf rund 11.000 Kinder und Jugendliche zu. Allein in der Bundeshauptstadt lebten im Jahr 2013 genau 3433 Kinder nicht bei ihren Eltern. Die Zahl ist gestiegen: 2009 waren in Wien noch 2962 Kinder fremduntergebracht, im Jahr 2011 waren es 3320. Dabei investiere man immer mehr in die Phase, in der sich entscheidet, ob Kinder im Sinne ihres Wohlergehens aus dem Elternhaus herausmüssen, heißt es aus der Magistratsabteilung elf (Jugend und Familie).

Zahl der Neuaufnahmen sinkt

Das macht sich zahlenmäßig auch insofern bemerkbar, als die Zahl der Neuaufnahmen in die Fremdunterbringung in Wien sinkt. Im Jahr 2011 wurden 711 Kinder Kinderwohngruppen, betreuten WGs oder Pflegefamilien übergeben, 2013 waren es noch 582. Rund die Hälfte - vor allem sehr junge Kinder - kommt bei Pflegeeltern unter, die andere Hälfte in betreuten Wohneinrichtungen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Kinder dürfte sich aber verlängern, daher dürfte die Gesamtzahl fremduntergebrachter Kinder weiter steigen, erläutert Herta Staffa von der MA 11.

Bundesweit sinkt die Zahl der Fremdunterbringungen seit 2011 leicht (damals waren laut Familienministerium 11.343 Kin- der fremduntergebracht, 2013 waren es 10.847).

Die Arbeit in Familien, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, findet dann zum Beispiel im Rahmen mobiler Betreuung statt, durch Familiencoaches oder Sozialpädagogen. Fällt die Entscheidung, ein Kind aus einer Familie zu nehmen, fallen solche Hilfsangebote vonseiten der Stadt aber weg.

Weniger Hilfe nach Kindesabnahme

Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits beobachtet, dass in Wien auf dem Feld der präventiven Arbeit viel passiert sei, wenn die Kinder aus der Familie draußen sind, "werden die Ressourcen aber teilweise zurückgefahren". Doch im Regelfall müsse gleich nach der Kindesabnahme an der Rückführung gearbeitet werden, meint Pinterits.

Dienstbier ist seit dreieinhalb Jahren in der Elternarbeit tätig. Der 48-jährige Sozialarbeiter kümmert sich derzeit konkret um neun Familien mit 16 Kindern zweier Kinderwohngruppen von SOS-Kinderdorf. In dem Kinderdorf im 21. Bezirk leben in mehreren Wohngruppen und drei Kinderdorffamilien insgesamt rund 100 Kinder. Dienstbiers Arbeit besteht dabei aus vielen Einzelgesprächen mit den Eltern oder Kindern, der Begleitung von Besuchen der Kinder zu Hause oder von Behördengängen der Eltern.

"Wichtig, alle ins Boot zu holen"

"Zuerst wird abgeklärt, wo und wie die Eltern leben und was ihr Thema ist", schildert Dienstbier. Am Anfang arbeite man oft stark an der Entwicklung einer "neuen Lebensperspektive" - viele Eltern litten in Krisenlagen unter einem Ohnmachtsgefühl. Bei seiner oft langwierigen Arbeit, die in enger Abstimmung mit dem Jugendamt stattfinde, sei es "wichtig, alle ins Boot zu holen und Vertrauen aufzubauen".

Ein Teil der Eltern brauche beispielsweise Hilfe, um finanzielle Probleme zu regeln oder müsse sich Schritt für Schritt aus offensichtlicher Überforderung mit dem Kind herausarbeiten. Seien einmal positive Entwicklungen erfolgt, könnten die Besuchsregeln vorsichtig gelockert werden.

Beispielsweise könne es ganz gut klappen, dass ein Kind einen Tag am Wochenende zu Hause verbringt, unter der Woche aber nicht, weil die Eltern es einfach nicht schaffen, Termine einzuhalten, das Kind zum Hausaufgabenmachen zu bringen oder Arztbesuche wahrzunehmen.

Problem Vernachlässigung

Mehr als der Hälfte der Fremdunterbringungen von Kindern liegt Vernachlässigung zugrunde, bei knapp einem Drittel ist es psychische Gewalt, bei 15 Prozent körperliche und bei zwei Prozent sexuelle Gewalt. Trotzdem wollen in fast jedem Fall, so sagen Dienstbier und Jugendanwältin Pinterits einhellig, Kinder den Kontakt zu ihren Eltern.

Jene Familie, deren Kinder im Jahr 2015 nach dreieinhalb Jahren zurück nach Hause dürfen, stellt für Dienstbier den ersten derartigen, längerfristig betreuten Fall dar, in dem eine Rückführung zu klappen scheint. Aber auch dort, wo das nicht erreicht werde, lohne sich das Versuchte: "Dann ist das Ziel eben, die Situation so weit zu stabilisieren, dass zumindest der Kontakt möglich ist." (Gudrun Springer, DER STANDARD, 17.9.2014)