Etwas mit eigenen Händen zu erschaffen. Sich etwas auszudenken und zu verwirklichen. Ob jung oder alt: Für viele Menschen gibt es wenig Erfüllenderes, als zu kreieren. Schrift auf Papier, Farbe auf Leinwand, Stahl auf Stein. Nicht umsonst war "Lego" eine der erfolgreichsten Spielideen des letzten Jahrhunderts.

"Minecraft"-Erfinder Markus Persson alias Notch kam 1979 in Stockholm zur Welt. Als hochbegabtes Kind programmierte er bereits mit acht Jahren sein erstes Spiel.
Foto: Mojang

Im Jänner 2011 überführte der Schwede Markus Persson, besser bekannt unter seinem Spitznamen Notch, dieses Konzept nach einigen Jahren der Entwicklung in die Neuzeit, als er seinen virtuellen Baukasten "Minecraft" für PC veröffentlichte. Damit gab er Menschen ein Werkzeug in die Hand, mit Pixelblöcken Bauwerke jeder Form und Dimension zu errichten. Angefangen von einfachen Häusern bis hin zu gigantischen Nachbildungen realer Sehenswürdigkeiten und ganzer Planeten wurde ein regelrechter Schaffensdrang geweckt.

Neue Versionen für mobile Endgeräte und Konsolen folgten, Perssons Firma wuchs auf 40 Angestellte. Anfang dieser Woche gab Mojang die Übernahme durch Microsoft für kolportierte 2,5 Milliarden Dollar bekannt. Ein Raunen ging durch die Branche. Wie kann eine Firma, die es vor vier Jahren noch nicht gab und ein einziges erfolgreiches Produkt anbietet, so viel Geld wert sein? Dabei wird übersehen, dass sich "Minecrafts" Wert längst nicht mehr nur anhand der Verkaufszahlen festmachen lässt.

Die Faszination "Minecraft" basiert nicht nur auf den schier unendlichen gestalterischen Möglichkeiten des Kreativmodus, sondern auch darauf, in diese von Nutzern allein oder kollaborativ generierten Welten mittels eines Survival-Modes eintauchen zu können. Darin begibt man sich mit seinem Klötzchenhelden auf die Suche nach Mineralien, mit denen man Gegenstände und Waffen erschaffen kann und stellt sich bei allen Jahreszeiten Monstern, Zombies und Riesenspinnen. Erkundung und Konstruktion sind für den Tag vorbehalten, sobald es dunkel wird, sollte man besser wieder Unterschlupf in der eigens errichteten Hütte finden.

Die Geschichte von Mojang und "Minecraft" wurde von 2 Player Productions in dem Dokumentarfilm "Minecraft: The Story of Mojang" festgehalten.
2PlayerProductions

Im Juni 2014 feierte Mojang weltweit mehr als 54 Millionen verkaufte "Minecraft"-Spiele. Anfang des Jahres verkündete man bereits sogar mehr als 100 Millionen Spieler - inklusive der eingeschränkt nutzbaren kostenlosen Fassung. Es begeistert heute mehr Menschen als die jüngsten Blockbuster der Serien "GTA", "FIFA" und "Super Mario" zusammen. 54 Mio. Menschen, um die herum ein ganzes Ökosystem entstanden ist. Auf Youtube findet man Let's-Player, die ihre Minecraft-Erlebnisse mitschneiden, die so viele Abonnenten haben wie neue Episoden der TV-Serie Game of Thrones Zuschauer.

Dem Verlag Egmont zufolge, der 2013 die Lizenzrechte für offizielle Literatur zu "Minecraft" erworben hat, verkaufen sich Bücher zum Aufbauspiel allein in Großbritannien bis zu eine Million Mal. Im Februar wurde bekannt, dass Mojang mit Warner Bros. in Verhandlungen über einen Film ist. Jedes Jahr treffen sich tausende Gleichgesinnte auf der Hausmesse MineCon, um sich über ihre Leidenschaft auszutauschen.

Kurzum: Um 2,5 Mrd. Dollar erwirbt Microsoft nicht nur ein Spiel, das jährlich 100 Mio. Dollar Gewinn einbringt, sondern auch ein Stück Popkultur. Und dies mit gutem Grund: Der Windows-Hersteller nahm in der Vergangenheit wiederholt Anläufe, ein cooleres Image zu erlangen, und ist dabei oft gescheitert. Mit der Spielkonsole Xbox konnte man den ersten bedeutenden Schritt setzen und sich vor allem mit dem Scifi-Shooter Halo einen Namen machen. Ein universeller Hit, der auch Menschen abseits der Kernspielerschaft anspricht, gelang aber nie.

"Lego" der unbegrenzten Möglichkeiten: Eine kleine Auswahl aus den mannigfachen, von Spielern errichteten Bauwerken in "Minecraft".
Screenshots: Minecraft

Potenzielle Goldgrube

"Wir sehen großes Potenzial, das Wachstum der 'Minecraft'-Community voranzutreiben und die Marke weiter auszubauen", verkündete Xbox-Chef Phil Spencer zur Bekanntgabe der Akquisition. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was mit Microsofts Mitteln möglich ist. Das Universum der Pixelblöcke könnte genauso Heimat zahlreicher Fortsetzungen und Auskoppelungen werden wie zur Merchandising-Cashcow. "Minecraft" könnte eine Quelle für Spielzeuge, TV-Serien und andere Games werden. Bis Juli 2015 sollen die Ausgaben für die Übernahme wieder eingespielt worden sein, so Spencer.

"'Minecraft' ist aktuell vielleicht die bestpositionierte eigenständige Spielemarke im gesamten Games-Sektor", sagt Piers Harding-Rolls, Analyst der Marktforschungsfirma IHS, in einer Einschätzung des Deals gegenüber der Seite Gamesindustry. "Es ist für sie ein weiteres starkes Franchise mit einer begehrenswerten Nutzerschaft junger Menschen", fügt Wedbush-Morgan-Analyst Michael Pachter hinzu. "Ich denke, wir können mit Master-Chief- und 'Gears-of-War'-Figuren in kommenden Versionen rechnen."

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Rund 40 Mitarbeiter zählt Mojang. Mit der Übernahme durch Microsoft scheiden die drei Gründer aus dem Unternehmen aus.
Foto: REUTERS/Ints Kalnins

Derzeit wird "Minecraft" auf einer Vielzahl von Systemen inklusive iOS, Android und PlayStation vertrieben. Pachter gibt jedoch zu bedenken, dass Mojangs Welthit eines Tages als Exklusivtitel auch dabei helfen könnte, die eigenen Plattformen wie Windows, Xbox und Windows Phone von Konkurrenzprodukten zu differenzieren.

Andere Marktbeobachter halten es wiederum für wahrscheinlicher, dass das Team rund um Konzernchef Satya Nadella das frisch erstandene Franchise dazu nutzen wird, seinen Einfluss über die eigenen Plattformen hinaus zu vergrößern. "Wir sehen die Übernahme nicht als Zeichen Microsofts dafür, verstärkt auf Xbox zu setzen, sondern als Versuch, Mobile-Nutzer und plattformübergreifende Kunden besser zu bedienen", sagt Nomura-Analyst Rick Sherlund gegenüber Reuters.

Eine Einschätzung, die sich von Spencers Stellungnahme ableiten lässt. "Gaming ist die Topaktivität über alle Geräte hinweg. Deshalb planen wir, 'Minecraft' weiterhin auf allen Plattformen verfügbar zu machen - inklusive iOS, Android und PlayStation."

Gigantische Spielwelt: Am 28. März 2011 brach Spieler Kurt J. Mac auf, um bis ans "Ende von Minecraft" zu gehen. Er geht immer noch.

Ein von überall aus spielbares Game mit einer millionenschweren und hochengagierten Community passt zum Unternehmen, das Microsoft mit seinen massiven Investitionen in Cloud-Services und Dienstleistungen künftig sein möchte. Mit der allgegenwärtigen Vernetzung nimmt die Relevanz von spezifischen Endgeräten und Betriebssystemen sukzessive ab, während die Verbreitungsmöglichkeiten einzelner Dienste und digitaler Medieninhalte wie Spiele zunehmen.

Neue Zeitrechnung

Der größte Stolperstein in den Redmonder Minecraft-Plänen könnte tatsächlich Microsoft selbst werden. Es wird intensive Anstrengungen benötigen, um die teils durch die Übernahme sehr aufgebrachte Kerngemeinschaft zusammenzuhalten. Für viele galten Persson und Mojang als Galionsfiguren der unabhängigen Entwicklerszene - fernab von Konzerneinflüssen.

Der Erfinder, der seinen Alltagsjob für seinen Spieletraum aufgegeben hatte, wurde innerhalb weniger Jahre zur Ikone für Indie-Fans und andere aufstrebende Designer. Seit der ersten veröffentlichten Vorversion "Minecrafts" 2009 stand er für Offenheit und eine enge Einbindung der Community in den Entwicklungsprozess. Ideen von außen wurden angehört und Feedback dankend angenommen. Gleichzeitig nahm sich Persson kein Blatt vor den Mund und gab über soziale Medien und Foren gerne seine Meinung zu Branchenthemen kund. Microsoft stand dabei wiederholt in der Kritik. So warnte der Schwede öffentlich davor, dass der Softwarekonzern mit der Einrichtung eines eigenen Windows-Stores in Windows 8 den freien Markt bedrohen würde.

"Minecraft" lebt vom Engagement seiner Community. An manchen Projekten werken Spieler mehrere Monate lang.
NewHeaven - Minecraft Architects

Die friedliche Annäherung an Microsoft geschah zur Veröffentlichung von "Minecraft" für Xbox 360 im Jahr 2012. Wie auf allen Systemen explodierte die Nachfrage zum Titel und ist im Online-Store Xbox-Live bis heute nach wie vor einer der meistgekauften Titel. Die Verkaufsgespräche wurden Anfang 2014 von Persson und Xbox-Boss Spencer eingeleitet. Rückblickend betrachtet war es ein lange vorbereiteter, krönender Abschied von dem Welthit, der Persson - so der Schöpfer selbst - über den Kopf gewachsen war. Bereits ab 2011 zog er sich sukzessive von der Projektleitung zurück. Mit der Verkündung der Übernahme gab er schließlich zusammen mit den beiden anderen Mitbegründern Jakob Porsér und Carl Manneh sein Ausscheiden aus dem Unternehmen bekannt.

"Ich bin kein Unternehmer. Ich bin kein CEO. Ich bin ein nerdiger Programmierer, der gerne auf Twitter seine Meinung sagt."

"Ich wurde zu einem Symbol. Ich möchte kein Symbol sein, für etwas Riesiges verantwortlich sein, dass ich nicht verstehe", heißt es in Perssons Abschiedsbrief an die Fans. "Ich bin kein Unternehmer. Ich bin kein CEO. Ich bin ein nerdiger Programmierer, der gerne auf Twitter seine Meinung sagt." Er sei sich darüber bewusst, dass die Übernahme gegen vieles spricht, was er in der Vergangenheit über Großkonzerne gesagt hat. Gleichzeitig wollte er aber nie das Symbol einer Bewegung sein, zu das ihn viele gemacht haben. "Minecraft" sei größer geworden, als er es sich je erträumt hätte und dies sei nicht alles ihm zu verdanken. "Einerseits gehört es nun Microsoft. Andererseits gehört es schon seit langer Zeit euch allen und das wird sich niemals ändern", so Persson. "Es geht nicht ums Geld. Es geht um meinen Verstand."

Bei einem Anteil von 70 Prozent an Mojang wird ihm der Verkauf seines Lebenswerks rund 1,75 Milliarden Dollar einbringen. Der virtuelle Baukasten der unbegrenzten Möglichkeiten wird seinem Schöpfer am Ende einer langen Reise auch in der realen Welt alle Freiheiten schenken. Es fällt schwer, einer Person, die so vielen Menschen Freude bereitet hat, das zu verübeln. "Ich liebe euch. Jeden von euch. Danke, dass ihr 'Minecraft' zu dem gemacht habt, was es heute ist."

Besonders beliebt sind Nachbauten realer Sehenswürdigkeiten und Städte. "Titan City" erschuf ein einziger Spieler in sechs Monaten.
Screenshot: Minecraft
Der Nachbau des Kontinents Westeros aus "Game of Thrones" ist ein kollaboratives Unterfangen. So schön sieht es jedoch nur gerendert aus.
Screenshot: Minecraft

Stolperstein Microsoft

Neben dem Zusammenhalt der Fangemeinde wird Microsoft insbesondere Feingefühl bei der Integration Mojangs und "Mincrafts" in das Unternehmen beweisen müssen. Konzerninteressen und kreative Freiheit kamen sich in der Vergangenheit in Redmond immer wieder in die Quere. Bestes Beispiel ist der Werdegang des britischen Spielstudios Rare, das es in den 1990ern mit Klassikern wie "Donkey Kong Country", "Goldeneye 007" oder "Banjo Kazooie" zu Weltruhm brachte, nach der Übernahme 2002 jedoch keinen bedeutenden Hit mehr herausbrachte. Ebenso gelang es Microsoft nicht, Ensemble Studios viel gefeierte "Age of Empires"-Serie langfristig fortzusetzen. Acht Jahre nach der Übernahme wurde die Schließung der Games-Schmiede bekanntgeben.

"'Minecraft' ist aktuell vielleicht die best positionierte eigenständige Spielemarke im gesamten Games-Sektor"

Es wäre allerdings kurzsichtig, von den Missgeschicken der Vergangenheit auf "Minecrafts" möglichen Verlauf zu schließen. Unter Phil Spencer, der die Xbox-Abteilung 2014 von Don Mattrick nach dem mehr als holprigen Marktstart der Xbox One übernommen hatte, ist Microsofts Videospielsparte neu aufgestellt. Und Microsoft selbst ist unter CEO Satya Nadella ein anderes Unternehmen, als es in den Händen des 2014 abgetretenen Langzeitchefs Steve Ballmer war.

Zuguterletzt ist "Minecraft" selbst der beste Grund, weshalb man im Trubel um eine der teuersten Akquisitionen in der Geschichte der Videospiele nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen sollte. Denn nichts davon war bisher mit virtuellem Lego vergleichbar. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 21.9.2014)