Bild nicht mehr verfügbar.

Gehirnerschütterungen mit Langzeitfolgen: Fußballer wie hier Erick Torres und Johnny Leverón köpfeln sich in die Risikogruppe.

Foto: AP

Kein Organ im menschlichen Körper gibt der Wissenschaft so viele Rätsel auf wie das menschliche Gehirn. Wie Denken genau funktioniert, können Forscher nur ansatzweise erklären. "Wir tappen im Dunklen", fasst der britische Neurowissenschafter Richard Frackowiack, Leiter des Human Brain Project, den Status quo zusammen. Das macht auch die Erforschung der im Hirn entstehenden Krankheiten schwierig.

Daran wird mit Hochdruck gearbeitet. In Österreich leben 100.000 Menschen mit Demenz, aufgrund der demografischen Entwicklungen wird diese Zahl bis 2050 auf etwa 250.000 ansteigen. "

Aus Übersichtsstudien kennen wir die sieben großen Treiber", sagt Peter Dal-Bianco, Neurologe an der Med-Uni Wien und Präsident der Österreichischen Alzheimer-Gesellschaft. Abgesehen von der genetischen Prädisposition erhöhen Bluthochdruck, Diabetes und Depression, Bewegungsmangel, Übergewicht, geistiger Stillstand und Rauchen das Demenzrisiko, "das ist beeinflussbar, würden wir diese Faktoren auf null bringen, würde das die Patientenzahlen halbieren", sagt er.

Hirneigener Automatismus

Darüber hinaus verdichten sich aber auch die Hinweise, dass Extremsportarten das Risiko, eines Tages an Alzheimer zu erkranken, in die Höhe treiben. "Bei einem Schädel-Hirn-Trauma können die Eiweiß-Metaboliten im Gehirn verändert werden, es kann zu Ablagerungen kommen, die dann fortschreiten", sagt Neurologe Gerhard Ransmayr vom AKH Linz und zitiert eine Vielzahl von US-Studien, aus denen sich diese These ableiten lässt. "Wir nehmen an, dass es im Gehirn eine Reihe von unbekannten Mechanismen gibt, die eine Art von Eigendynamik entwickeln", erklärt er.

Dass Gehirnverletzungen nachhaltig die Gesundheit beeinträchtigen, zeigen epidemiologische Studien wie die von Deborah Barnes an der University of California, die 190.000 Kriegsveteranen ab dem 55. Lebensjahr untersuchte und ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Neurology veröffentlichte. Es zeigte sich, dass jene 1200 Ex-Soldaten, die Schädelverletzungen erlitten hatten, insgesamt in einem schlechteren gesundheitlichen Allgemeinzustand waren. 16 Prozent dieser Gruppe entwickelten eine Demenzerkrankung, fast doppelt so viel wie ohne Kopfverletzungen.

Dass vor allem schwere Schädel-Hirn-Traumata im Vergleich zu Bluthochdruck oder Diabetes ein bedeutender Risikofaktor sind, konnte Christoph Pattersen 2008 in der Zeitschrift "Canadian Medical Association" zeigen. "Wir nehmen an, dass vor allem schwerere Traumata, die in kurzem zeitlichem Abstand hintereinander passieren, besonders beeinträchtigend sind", erläutert Ransmayr.

Kontaktsportarten gefährlich

Damit rückten die Sportarten mit viel Körperkontakt ins Zentrum der neurowissenschaftlichen Aufmerksamkeit. In einer Untersuchung an amerikanischen High Schools konnte festgestellt werden, dass American Football, Fußball, Basketball und Eishockey überaus gefährlich sind. "Bei diesen sogenannten Kontaktsportarten sind Schädelverletzungen besonders häufig", sagt Ransmayr.

Vor allem im Wettkampf seien die Spieler besonders gefährdet, Mädchen tragen schwerere Kopfverletzungen davon als Buben, sagt er und plädiert an die Mannschaftsbetreuer, hier Sorgfalt an den Tag zu legen. Nicht jede Gehirnerschütterung wird diagnostiziert.

"Wenn scheinbar keine Symptome vorhanden sind, heißt es nicht unbedingt, dass das Gehirn bei einem starken Aufprall nicht verletzt wurde oder dass es sich bei Verletzung nach ein paar Tagen wieder erholt hat", sagt der Neurologe, der sich bei der Fußballweltmeisterschaft viele Male wunderte, dass Spieler nach massiven Zusammenstößen weiterspielten. "Da konnten doch auch medizinische Laien sehen, dass nicht alles in Ordnung ist", sagt er. Auch bei Skisportlern macht er sich Gedanken und fordert medizinische Guidelines und Aufklärung von jugendlichen Sportlern und Eltern.

Denn auch Anzahl und Schwere der Kopfverletzungen scheinen bei der Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten im späteren Lebensalter eine Rolle zu spielen. Wichtig, so Ransmayr, sei deshalb auch eine enge Zusammenarbeit mit Sportmedizinern und Trainern, um ein Bewusstsein für das erhöhte Alzheimerrisiko von Leistungssportlern zu schaffen. Was tun? "Helme könnten eine Lösung sein, sie reduzieren Schädel-Hirn-Traumata nachweislich", sagt Ransmayr.

"Wir wissen, dass sich Alzheimer über viele Jahre entwickelt", sagt Neurologe Dal-Bianco, "und zwar lange bevor Symptome bemerkbar werden und die Krankheit diagnostiziert werden kann." (Karin Pollack, DER STANDARD, 20.9.2014)